Am 30. August 1886, also vor 125 Jahren, wurde das Straßenbahnzeitalter in Darmstadt eröffnet. Bis in die 20er Jahre verkehrten nach Eberstadt, Griesheim und Arheilgen von Dampfloks gezogene Straßenbahnzüge.
1897 begann das elektrische Zeitalter. Mit zwei Straßenbahnlinien griff die Stadt Darmstadt ins Geschehen ein. Diese Straßenbahnen wurden zunächst bevorzugt vom Bürgertum benutzt. Folglich erhielt auch das Staatstheater (heute Staatsarchiv) am heutigen Karolinenplatz ein eigenes “Theatergleis”, damit die Besucherinnen und Besucher dieser Kulturveranstaltung abends noch nach Hause gelangen konnten. Hierbei fuhr eine eigene Straßenbahn bis zu den alten Bahnhöfen und ab 1912 zum Hauptbahnhof und sicherte somit auch die Rückreise nach Mannheim oder ins Ried. Siehe hierzu auch meine Darstellung
Krieg und Spiele über die Lustbarkeiten des Bürgertums im Ersten Weltkrieg, während andernorts der Massenmord erblühte.
1912 führten die Verhandlungen zwischen der Stadt Darmstadt und der Süddeutschen Einsebahn-Gesellschaft (SEG) zur Fusion des Nahverkehrs unter dem Dach der HEAG, der zunächst Hessische Eisenbahn AG genannten Gesellschaft, die heute Nukleus eines regionalen Stromkonzerns ist.
Bei diesem Zusammenschluß wurde u.a. vereinbart, eine neue Straßenbahnstrecke ins Martinsviertel zu bauen, welche durch die Hochschulstraße zum Riegerplatz führen sollte. Auf einem zeitgenössischen Stadtplan ist diese neue Strecke als Verlängerung des Theatergleises eingezeichnet. Dies mag einige Jahre später zu einiger Verwirrung beigetragen haben. Denn tatsächlich waren Theatergleis und neue Stichstrecke gleisseitig zwei voneinander getrennte Einheiten.
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Link zum Darmstädter Echo mit der ausschnittsweisen Wiedergabe eines Pharus-Plans (wohl zwischen 1910 und 1915).
Der Plan zeigt die zur Fasanerie führende Straßenbahnlinie durch die Alexanderstraße. Davon zweigt auf dem Plan die geplante Strecke ab, und zwar zunächst auf der Trasse des Theatergleises, bevor sie am Theater entlang in der Hochschulstraße verschwindet.
>>> Siehe zur Neubaustrecke auch den zum Plan gehörenden Artikel von Marius Blume im Darmstädter Echo am 29.4.2011:
Neuer alter Glanz für Darmstadts Mini-Campus. Darin findet sich ein Kleinod: “Wenige Meter entfernt zeugt nur noch ein kurzes Gleisstück vom 1912 angegangenen und bald darauf eingestellten Vorhaben, hier eine Straßenbahnstrecke ins Martinsviertel zu führen.”
Allein – die Stichstrecke ging etwas weiter östlich ab, und zwar vor der Häuserzeile mit dem Café Oper, wo auf dem Plan das “Pl.” für den Hoftheaterplatz steht. Hierzu gibt es mehrere fotografische Belege.
Zunächst einmal werfen wir einen Blick auf eine wartende Straßenbahn auf dem Stumpfgleis vor dem in den 20er Jahren als Hessisches Landestheater firmierenden Bau. Das Theater steht rechts; im Hintergrund befindet sich das Hessische Landesmuseum. Bei dem Bild handelt es sich um eine zeitgenössische Postkarte, vermutlich aus den 20er Jahren.
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Im vor wenigen Jahren erschienenen Heft “Das Darmstädter Schloss. Entstehung – Veränderung – Zerstörung – Wiederaufbau” findet sich eine Abbildung, welche das Stumpfgleis und die neue Streckenführung vor dem Café Oper zeigt. Ein Datum dieses aus dem Stadtarchiv Darmstadt stammenden Bildes ist nicht angegeben. Ganz links ist der Abzweig zum Stumpfgleis vor dem Theater zu sehen, in der Mitte die geschwungene Linienführung in die Hochschulstraße hinein.
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Eine weitere Postkarte unbekannten Datums (20er oder 30er Jahre) wurde aus dem Nordausgang des Schlosses heraus aufgenommen und ist direkt auf das Theater gerichtet. Ganz links unter den Bäumen ist eine wartende Straßenbahn zu erahnen, auch hier ist die geschwungene Linienführung der Neubaustrecke deutlich zu erkennen. Am unteren rechten Bildrand verschwinden die Hauptgleise Richtung Alexanderstraße und Fasanerie.
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Der Kriegsbeginn 1914 verhinderte die Fertigstellung dieser Straßenbahnlinie. Gesichert ist, daß das Gleis in einem Teil der Hochschulstraße schon verlegt worden war. Angeblich soll die Technische Hochschule die Fortsetzung der Bahnlinie durch ihren Einspruch verhindert haben. Sie fürchtete um ihre kostbaren empfindlichen wissenschaftlichen Meßgeräte, wenn eine Tram bei der Durchfahrt durch das Hochschulgelände den Boden erschütterte. Vermutlich wird es eher so gewesen sein, daß nach 1918 Reparationszahlungen und Inflation an eine Wiederaufnahme der Bauarbeiten nicht denken ließen. Später galt diese Linie dann wohl als überflüssig, zumal es mit der Straßenbahnlinie von der Heinheimer Straße über den Schloßgartenplatz und das Johannesviertel eine Alternative gab.
Allerdings lagen die schon 1914 verlegten und nie benutzten Gleise auch in den 30er Jahren noch, wie auf der nachfolgenden Postkarte zu erkennen ist. Diese Postkarte gehört zu einer Postkartenserie, von denen mir bislang nur gelaufene Exemplare nach 1935 bekannt sind. Auch der automobile Fahrzeugpark läßt an die 30er Jahre denken. Hinweisen möchte ich euch auf das anachronistisch wirkende Ochsengespann im Bildhintergrund. Das Café Oper ist links neben dem linken Bildrand zu denken.
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So bleiben einige Fragen offen: Wann wurden die beiden Gleise in der Hochschulstraße überbaut und vom übrigen Gleisnetz abgenabelt? Und wann verschwand das Theatergleis – etwa bei der 1967 begonnenen Anlage der Tiefgarage unter dem Friedensplatz?
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Die Hochschulstraße macht wenige Meter später einen 90 Grad-Knick nach rechts und führt von dort in Richtung Martinsviertel. Nach dem Knick gibt der Asphalt und seine im Winter aufgeplatzten Stellen keinen Hinweis auf eine Fortsetzung der Gleise. Zum Abschluß noch eine Detailansicht – das Ende der Gleisverlegung 1914?
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Mein Dank geht an Ralph Völger aus dem Eisenbahnmuseum in Kranichstein, der die Anregung zu dieser Exkursion in die Darmstädter Vergangenheit gegeben hat.
Edit August 2011: Überschrift, wegen der Straßenbahnbilder aus dem Merck-Archiv.
Edit Oktober 2011: Eine leicht überarbeitete Fassung (mit zusätzlichem Bild) ist auf meiner Webseite zu finden:
Straßenbahngleise rund um das ehemalige Theater.
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:10:06:03:22:59.