Teil 3 - Aufbauhilfe aus Amerika
Im dritten Teil wollen wir uns den Amerikanern – les américains – im belgischen Dampflokpark zuwenden.
Zunächst die Links zu den bisherigen Teilbeiträgen:
- Teil 1:
Lokomotiven aus belgischer Entwicklung - die ganz alten
- Teil 2:
Lokomotiven aus belgischer Entwicklung - die modernen Bauarten
Als Aufbauhilfe für Frankreich wurden 1918, also direkt nach Ende des ersten Weltkriegs, eine größere Anzahl von Dampflokomotiven verschiedener Bauarten, alle von Baldwin gebaut, aus USA nach Frankreich geliefert Dort wurden sie von der Railway Operating Division (ROD), eine Art Militär-Eisenbahn übernommen; die mit dem Kürzel ROD gekennzeichneten Maschinen wurden zum Teil auch in Belgien eingesetzt. Als die Loks in Frankreich nicht mehr gebraucht wurden, kaufte der belgische Staat insgesamt 200 Lokomotiven von der ROD und reihte sie in seinen Lokpark als Baureihen 40, 50, 57 und 58 ein.
Von der leichten 2’C h2 Personenzuglok
Reihe 40 kamen 1920/22 insgesamt 70 Maschinen nach Belgien, die zum Zeitpunkt der Aufnahme wahrscheinlich alle im Depot Mons stationiert waren. Das Aussehen der Loks ist unverkennbar amerikanisch, wie direkt dem wilden Westen entsprungen; es fehlen eigentlich nur der Western-typische Cow Catcher und ein großer Kobelschornstein. Die Baureihe 40 schied im Jahre 1964 aus dem aktiven Dienst.
Typisch europäische bzw. belgische Zugaben sind dagegen die beiden A.C.F.I. Mischvorwärmer, die einstufige Luftpumpe ohne Kühlrippen am Luftzylinder und die Krempe am Schornstein.
Bild 32
40.024, Depot Mons, 05.09.59.
Im nächsten Bild sehen wir eine andere (ältere?) Form des Führerhauses, die mir persönlich besser gefällt und den Eindruck einer Western-Lok noch verstärkt.
Bild 33
40.055, Bw Mons, 05.09.59. Der abgebundene Schornstein, fehlende Lampen und der leere Tender lassen auf ein baldiges Ende der Lok schließen.
Die linksseitige Steuerstange zeigt an, dass die Loks bereits ab Werk für den Linksverkehr in Frankreich und Belgien vorbereitet waren.
Weitere Bauart-Varianten finden wir bei 40.006 auf den nächsten beiden Bildern: Diese Maschine ist mit einem
Giesl-Ejektor und einem dreiachsigen Tender ausgestattet.
Der Giesl-Ejektor, benannt nach seinem Erfinder Dr. Giesl-Gieslingen, dient dem gleichen Zweck wie die Kylchap-Anlage: bessere Feueranfachung und Brennstoffersparnis. Die meisten österreichischen Dampfloks waren damit ausgerüstet, ebenso viele DR Loks, und auch die DB erprobte den GE zeitweise auf einer Lok der BR 50. Neben der hier gezeigten 40.006 besaß auch die Schwester-Lok 40.058 einen Giesl-Ejektor.
Bild 34
40.006, Bw Mons, 05.09.59. Blick auf den markanten Schornstein, den man auch schon mal Quetschesse nennt. Die Lok und auch ihre Schwestern machen einen gepflegten Eindruck.
Bild 35
Und noch einmal
40.006, jetzt mehr von vorn. Das ganze Depot scheint voll mit 40ern zu stehen.
Bild 36
40.014, Bw Mons, 05.09.59. Am Tender fallen nicht nur die sauber genieteten Seitenwände auf, sondern auch die ungewöhnlichen Proportionen – lang und flach. Man könnte fast meinen, dem Tender fehlt ein richtiger Kohlenkasten. Die Heizer waren bestimmt nicht begeistert darüber, bei leerem Tender lange Wege nach hinten machen zu müssen.
Bild 37:
Die einzige Betriebsaufnahme dieser belgischen Wild-West Lok zeigt
40.002, recht gepflegt und mit blanken Kesselringen im Bahnhof Blaton am 05.09.59. Falls es der Heizer ist, der da auf der Bank sitzt, könnte man meinen, er sammelt vor der nächsten Tour noch einmal seine Kräfte angesichts der Blumenerde auf dem Tender.
Die Loks der
Reihe 57 waren sozusagen die gesuperte Ausführung der Reihe 50, die HS nicht vor die Flinte bekommen hat.
Satteltank-Loks waren in Europa im Gegensatz zu Amerika eher wenig verbreitet. Der über den Kessel gestülpte, flache Wasserbehälter hatte sicher wärmetechnische Vorteile und bot auch für Wasservorräte ein großes Volumen. Andererseits erschwerte die großflächige Abdeckung des Kessels die Anordnung der Kesselarmaturen und führte, zumindest bei der belgischen 57, zu einer sicher nicht unbeträchtlichen Sichtbehinderung nach vorn. Dem Satteltank geschuldet ist die ungewöhnliche seitliche Silhouette mit den Sandbehältern, die höher als Dampfdom und Kamin sind.
Technisch anspruchslos ist das Zweizylinder-Nassdampftriebwerk mit der innen liegenden Stephenson-Steuerung. Diese ist sehr ähnlich der Bauart Allan, die Bewegung wird durch Umkehrhebel auf die außen liegenden Flachschieber übertragen.
Wenn man bedenkt, dass von ursprünglich 63 Maschinen nach gut 40 Jahren immer noch einige im Einsatz waren, müssen die Loks den betrieblichen Anforderungen durchaus genügt haben. Die letzten Exemplare dieser interessanten Baureihe schieden 1960 aus dem aktiven Dienst aus.
Bild 38
57.001, "Notschuss" von der falschen Seite auf die unvermittelt mit ein paar Güterwagen im Bf. Brüssel-Midi auftauchende Satteltank-Lok, Gut zu sehen ist die vor dem Kamin liegende Wassereinfüllöffnung.
Bild 39
Zum Glück erhielt
57.001 (vom Depot Bruxelles Midi) nicht gleich Durchfahrt, so dass es HS gelang, noch auf die andere, lichttechnisch etwas günstigere Seite zu gelangen. Man beachte die einfache Absturzsicherung an der Tür, die vmtl. auch durch die daneben aufgehängte Bretterkonstruktion fest verschlossen werden kann. 07.09.59.
Auch in der Ansicht von hinten macht die Lok mit dem tief liegenden Führerhaus und dem großen Abstand zwischen letzter Treibachse und Nachläufer einen recht schrulligen Eindruck – ein heißer Kandidat für den Schönheitspreis unter den belgischen Dampfern war die 57er sicher nicht…
Im Gegensatz zu der Satteltank-Lok der Reihe 57 macht der C-Kuppler der
Reihe 58 eine gute Figur, dazu noch mit Kranzschornstein. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Form des Führerhauses ein wenig an Krauss’sche Lokalbahnloks erinnert.
Abgesehen davon erkennt man aber auch hier die typischen Baumerkmale einer Lok aus dem Hause Baldwin: Domverkleidung und Sandkästen mit Wulst, Innensteuerung und außen liegende Schieberkästen.
Bild 40
58.026, Dendermonde, 04.09.59.
Bild 41
Der Blick etwas spitzer von vorn auf
58.026 zeigt, dass die Luftpumpe auch hier nur einstufig und ohne Kühlrippen ausgeführt ist. Der “rustikale“ Luftbehälter auf dem Kesselscheitel ist ein typischer Vertreter des frühen Behälterbaus.
Bild 42
"Es grünt so grün an Belgiens Hauswänden", möchte man sagen, wenn man sieht, wie die kleine Baldwin sich hier vor der mit Efeu bewachsenen Hauswand präsentiert.
Nach dem zweiten Weltkrieg leistete Amerika wieder tätige Aufbauhilfe für West-Europa, und auch das völlig unverschuldet schwer in Mitleidenschaft gezogene Belgien profitierte davon.
Ab Juni 1945 lieferten kanadische und US-amerikanische Lokomotivfabriken insgesamt 300 Schlepptenderlokomotiven nach Belgien, etwa 50 Stück pro Monat. Die bei der SNCB als
Reihe 29 eingereihten Mehrzweck-Lokomotiven besaßen die Achsfolge 1’D, hatten einen Treibraddurchmesser von 1520 mm und eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h.
Zwischen den Baldwin-Maschinen der ROD und der Reihe 29 liegen 25 Jahre amerikanischen Lokomotivbaus; die langen Kamine und kleinen Kessel sind hier ins Gegenteil gekehrt. Ein leistungsfähiger Kessel mit immerhin 4,5 m² Rostfläche und ein robustes Zweizylindertriebwerk machen aus der Lok ein anspruchsloses, in allen Diensten einsetzbares Kraftpaket.
Auf Grund ihrer hohen Stückzahl war sie auf dem gesamten Netz anzutreffen. Noch 1957 kamen die Maschinen mit Schnellzügen bis nach Aachen. Bei der Rückfahrt Richtung Lüttich wurden die Züge wegen der starken Steigung nachgeschoben, wobei zumeist eine DB 93.5 zum Einsatz kam.
Bild 43
Ob
29.001, die hier am 03.09.59 im Bahnhof Lüttich vor einem Personenzug auf Ausfahrt wartet, auf Grund ihrer Betriebsnummer auch als erste auf belgischen Schienen stand, ist nicht bekannt. Gefertigt wurde sie in den Montreal Locomotive Works (Kanada).
Die Lok trägt den obligatorischen Kaminverschluss. Hinter dem Klettergerüst liegt links die verkleidete Luftpumpe, genau wie bei der SNCF 141 R, wohl gleicher Hersteller.
Bild 44
Neben einer Reihe abgestellter Loks der Reihe 97 (ex pr. T14) sonnt sich
29.265 am 06.09.59 im Bw Herbesthal.
Bild 45
Bei dieser Aufnahme wurde der Fotograf auf dem falschen Fuß erwischt: Im Bahnhof Liège (Lüttich) rollt am 03.09.59 ein Gespann aus
29.163 und
98.045 an den Bahnsteig. Aber ehe er sich’s versah, hatte die 98er abgekuppelt und das Weite gesucht. Schade drum, denn eine 98er, ehem. pr. T16.1, ist HS in Belgien nicht wieder begegnet.
Die 29er fällt auf durch die weiß gestrichenen Pufferteller, die ja bei uns, wenn überhaupt, nur einen weißen Rand hatten.
Bild 46
Den Abschluss des heutigen Teils soll eine Farbaufnahme bilden. Darauf erkennt man, dass die Reihe 29, wie übrigens alle belgischen Dampfloks, grün lackiert war, auch wenn das meiste davon unter einer dicken Schmutzschicht verschwunden ist. Über die Farbe des Fahrwerks kann man nur Vermutungen anstellen, aber Rot war es wohl eher nicht.
Als
29.238 am 14.05.66 im Bw Herbesthal fotografiert wurde, stand die Zeit der 29er im Reisezugdienst kurz vor dem Ende. Dafür hat sich anscheinend das Dreilicht-Spitzensignal endgültig durchgesetzt.
Mit der Reihe 29, die ja möglicherweise noch einige Hiforisti selber erlebt haben (zumindest als Museumslok), beenden wir den dritten Teil unser Belgien-Serie. Wer es immer noch nicht leid ist und gerne noch ein paar alte Preußen in Belgien sehen möchte, sollte den vierten und letzten Teil nicht versäumen.
Schönen Tag noch,
Herbert und Ulrich
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:03:07:07:56:34.