Wie es der Zufall will, gab es in der letzten Zeit auffallend viele Beiträge zum Thema Belgien hier im HiFo:
06.02.11 - Guido Rademacher: 1938: "
Die belgische Baureihe 7 im Aachener Hbf"
07.02.11 - Martin Welzel: "
Dampfloks und Anderes in Brüssel-Nord, 24.5.1985"
13.02.11 - Detlef Schikorr: "
SNCB/NMBS Schnellzugdampflok 1.002 zwischen Leuven und Eeklo 1996-1998"
18.02.11 - ME 26-06: "
Diesel in Belgien, Teil 4 (mit Links zu Teil 1 – 3)"
20.02.11 - Harald Sydow: "
Die Linie38/La Ligne38 in Belgien"
25.02.11 - Ronald Krug: "
SNCB/NMBS 1939 Schnellster europ. Dampfzug"
Da passt es gut, dass Herbert Schambach und ich bereits seit Längerem einen Beitrag über belgische Dampfloks vorbereitet haben, den wir heute starten wollen. Als geschlossener Vortrag wurden die Bilder kürzlich beim Stammtisch Ruhr in Bochum gezeigt - für die Teilnehmer dieses Treffens gibt es also nichts Neues zu sehen. Aber wir denken, das Interesse geht über diesen Kreis hinaus und zudem bietet sich so die Möglichkeit einer dauerhaften Zugänglichkeit zu den wirklich sehenswerten Aufnahmen (hier im Forum oder unter der Rubrik "
DSo-Beiträge" in der
Bundesbahnzeit
Teil 1: Lokomotiven aus belgischer Entwicklung
Das kleine Land Belgien im Westen Europas ist nicht nur reich an Kunst, Kultur und Architektur, sondern auch seit je her in puncto Eisenbahn ein hochinteressantes Terrain. Ein überaus dichtes Streckennetz und eine große Vielfalt an Fahrzeugen und Lackierungsvarianten sorgten und sorgen auch heute noch für reichlich Abwechslung.
Eine in dieser Hinsicht besonders reizvolle Zeit war die letzte Blüte des Dampfbetriebs in den späten 50er und frühen 60er Jahren, als neben den ureigenen Konstruktionen der einheimischen Lokfabriken auch die unterschiedlichsten Typen ausländischer Herkunft in Belgien anzutreffen waren. Die meisten davon Maschinen aus Deutschland, überwiegend preußischer Bauart, die nach dem Waffenstillstandsabkommen von 1918 als sog. "Armistice" Lokomotiven nach Belgien gekommen waren. Daneben gab es zahlreiche Loks und Lokbaureihen aus nordamerikanischer Wiederaufbauhilfe, die sowohl nach dem 1. als auch nach dem 2. Weltkrieg in großem Stil geleistet wurde.
Diese reizvolle Ausgangslage veranlasste HS, mehrere Reisen zu den belgischen Dampfern zu unternehmen. Genaue Informationen, wo welche Typen zu finden wären, gab es damals nicht. Einzige Quelle waren gelegentliche Gespräche mit anderen Eisenbahnfreunden, die davon zu berichten wussten, dass in der Stadt XY noch Loks einer bestimmten Baureihe zu finden wären. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass die Fahrten damals selbstverständlich mit der Bahn erfolgten, ist leicht nachzuvollziehen, dass die Fototouren nicht selten von Überraschungen positiver wie negativer Art geprägt waren.
Wir beginnen mit dem ältesten Loktyp in dieser Beitragsfolge, der
Baureihe 44 (ursprünglich Type 32). Hierbei handelt es sich um eine dreifach gekuppelte Naßdampflok, von der zwischen 1902 und 1914 insgesamt 502 Maschinen gebaut wurden. Die Ausführung mit Innentriebwerk und die generelle äußere Gestaltung verraten den starken Einfluss der englischen Lokbauschule auf die belgischen Lok-Konstrukteure dieser Zeit.
Bild 1
Als
44.322 am 06.09.59 in Herbesthal aufgenommen wurde, ist sie natürlich schon längst keine Betriebslok mehr. Ganz offensichtlich befindet sie sich in Aufarbeitung zur Museumslok, nur Stangen und Lampen fehlen noch. Recht bemerkenswert finde ich die Tatsache, dass in Belgien bereits 1959 die Bereitschaft vorhanden war, eine doch eher unscheinbare Maschine für die Nachwelt zu erhalten.
Bild 2
Selbst 1960 waren in Belgien immer noch Lok des Typs 44 unter Dampf anzutreffen, wenn auch nur als stationäre Heizanlage. Im Ostkopf des Bahnhofs Oostende bildeten zwei 44er ein fest verbundenes Heizlok-Pärchen, von dem die vordere offensichtlich nur auf einem Hilfsgleis stand. Vor und hinter den Loks befanden sich Querbühnen für die Wartung und Kohlebeschickung der Kessel. Am Führerhaus ist die Nummer
62H54 zu entziffern. Oostende, 05.06.60.
Die
Reihe 41, erstes Baujahr 1905, war die Heißdampfvariante der Reihe 44. Die ursprüngliche Typenbezeichnung lautete 32S (S = surchauffee = Heißdampf). Von dieser Bauart wurden insgesamt 307 Maschinen gebaut, von denen die letzten anscheinend noch bis in die 50er Jahre im Einsatz standen. Doch was mögen das für Einsätze gewesen sein?
Bild 3
Gleich fünf abgestellte Loks der Reihe 41 fand HS am 05.09.59 abgestellt in Ottignies vor. Von vorn:
41.180 vor
41.199,
41.086,
41.020 und
41.004.
Auf mich machen diese Maschinen einen ungeheuer altertümlichen Eindruck. Ich hätte nie gedacht, dass Ende der 50er Jahre noch so viele dieser urigen Lokomotiven vorhanden gewesen wären.
Bild 4
Natürlich wurden die Loks auch alle noch einmal einzeln abgelichtet. Davon zeigen wir hier nur die erste,
41.180, weil vorne frei stehend. Das Kürzel "FT" unter der Fahrzeugnummer zeigt an, dass die Lok zuletzt im Bw Dendermonde beheimatet war, wie übrigens alle andere abgestellten 41er auch. Ottignies, 05.09.59.
In der Nahansicht erkennt man ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zu den Naßdampf-Schwestern der Reihe 44: Nämlich die vorn unter der Rauchkammer herausragenden Kolbenstangen-Schutzrohe, als Folge der leicht schräg angeodneten Innenzylinder.
Bild 5
An anderer Stelle in Ottignies standen weitere Schrottloks herum, so z.B.
41.115, ebenfalls ex Bw Dendermonde (FT). Dahinter steht die Tenderloks 53.321.
Damit sind wir bei der
Baureihe 53 angelangt: Einem Naßdampf D-Kuppler, vergleichbar mit den diversen deutschen Länderbahn Maschinen BR 92. Zwischen 1904 und 1926 wurden insgesamt 437 Exemplare dieses Typs gebaut. Damit war sie über viele Jahre hinweg DIE klassische Rangierlok in Belgien, von der letzten noch bis 12/66 im Einsatz standen.
Charakteristische Merkmale dieser Lok waren der Stehkessel Bauart Belpaire, der etwas primitiv wirkende, tonnenförmige Sandkasten und die weit nach vorn gezogenen großen Wasserkästen. Hier erstmals zu sehen: Die bei belgischen Loks weitverbreitete Kaminabdeckung. Man achte auch auf die seinerzeit noch sehr uneinheitliche Spitzenbeleuchtung, die in diesem Fall aus nur einer Laterne an der Rauchkammertür besteht.
Bild 6
53.014, erledigt den Rangierdienst im Bahnhof Tournai, 05.09.59.
Bild 7
Bereits kalt abgestellt, ohne Treibstange und ohne Lampen, aber mit sorgfältig verhülltem Kamin:
53.106, Bw St.Ghislain-Hornu, 07.09.59.
Bild 8
Und auch ein Bild in Farbe können wir zeigen:
53.045 vom Bw Brügge (FR) ist am 05.06.60 mit Rangierarbeiten im Bahnhof Oostende, beschäftigt.
Inspiriert von den 1899 aus England importierten Maschinen der Reihe 17 schuf die belgische Lokfabrik La Meuse im Jahr 1900 die Reihe 15, eine zweifach gekuppelte Tenderlok für den schnellen Personennahverkehr. Dafür wurde der Treibraddurchmesser auf 1800 mm festgelegt, was eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ermöglichte. Auch Franco-Belge konstruierte eine ähnliche Lok. In verschiedenen Varianten wurden von beiden Herstellern über 120 Loks gebaut, bis dann 1907 erstmals auch eine Heißdampf-Version zur Verfügung stand. Von dieser wurden bis 1913 immerhin noch 78 Loks beschafft, die ab 1925 als
Reihe 16 bezeichnet wurden.
Bild 9
Von der linken Seite zeigt sich
16.016 in ihrem Heimat-Bw St.Ghislain-Hornu (FGH), in dem seinerzeit anscheinend alle noch eingesetzten Loks der Reihe 16 konzentriert waren. 07.09.59. Die Spitzenbeleuchtung besteht hier aus 2 Laternen.
Bild 10
Am gleichen Tag am selben Ort präsentiert
16.040 die rechte Lokseite. Gut zu erkennen ist nicht nur der Schriftzug "St.Ghislain-Hornu" auf dem Wasserturm, sondern auch der zusätzliche Brennstoff-Vorrat auf dem Führerhausdach. Die sorgsam an der Vorderkante gestapelten Briketts sollen offensichtlich das Bord noch etwas erhöhen.
Ferner bemerkenswert: Der kleine Kasten oben an der Führerhausseitenwand, dessen Sinn uns nicht bekannt ist, sowie die einfache Frontbeleuchtung mit nur einer Laterne.
Bild 11
Die gleiche Situation noch eimal etwas mehr von vorn:
16.040, St.Ghislain-Hornu, 07.09.59.
Wie die Reihe 53 war auch die Reihe 16 mit einer Schornstein-Verschlußeinrichtung ausgestattet, aber in einer anderen Bauart.
Bild 12
Dieser Blick ins Bw St.Ghislain-Hornu zeigt nicht nur die mittlerweile bekannte
16.040, sondern im Hintergrund auch noch
81.432 (ex pr. G8.1) und
53.106 (siehe Bild 7).
Bild 13
Am 07.09.59 steht
16.027 mit gut gefüllten Reserve-Brennstoffvorräten auf dem Dach Im Bahnhof St.Ghislain-Hornu abfahrbereit vor einem Personenzug. Die Spitzenbeleuchtung besteht diesmal aus einer Laterne unten rechts. Ein Bauteil, das bei den bisher gezeigten Maschinen der Reihe 16 noch nicht zu sehen war, ist das zwischen Schornstein und Dom auf dem Kesselscheitel angeordnete Luftansaugventil, das sich bei Fahrt mit geschlossenem Regler selbsttätig öffnet (wie bei der DB BR 39).
Bild 14
Tender voraus sehen wir danach
16.045, ebenfalls im Bahnhof St.Ghislain-Hornu am 07.09.59.
Bild 15
Der Blick von der lichtmäßig richtigen Seite von hinten auf den Zug zeigt, dass der Kesselscheitel durch Wasserreißen o.ä. stark "geweißt" ist. Schade nur, dass von der alten Wagengarnitur und dem herrlichen Bahnhofsgebäude nicht mehr zu sehen ist.
16.045, St.Ghislain-Hornu, 07.09.59.
Wir hoffen, dass euch der kleine Ausflug zu unserem belgischen Nachbarn und seinen alten Lokomotiven gefallen hat. Im nächsten Teil werden wir uns dann den moderneren Fahrzeugen aus belgischer Entwicklung, den Reihen 1, 7, 12 und 31, zuwenden, bevor es danach mit den Amerikanern und Preußen weitergeht.
Schönen Tag noch,
Herbert und Ulrich
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2011:02:28:09:15:02.