Edit: Ich habe sehr lange an der Farbrestaurierung der ausgebleichten Kleinbild-Negative gearbeitet und hoffe, dass sie nun sehenswert sind. Sie stammen aus einer Zeit, als in jener Gegend kaum jemand farbig fotografiert hat. Der Autor.
Unter allen spanischen Meterspurbahnen genossen die Ferrocarriles Vascongados (abgekürzt FV, Baskische Eisenbahnen) bis nach der Verstaatlichung am 24. Juni 1972 eine herausragende Stellung, nur vergleichbar mit der Rhätischen Bahn in der Schweiz. Die 108 Kilometer lange Hauptstrecke San Sebastian - Bilbao wurde schon 1928 elektrifiziert und mit 10, später 17 leistungsfähigen Lokomotiven betrieben. Die vier durchgehenden Personenzüge führten komfortable Wagen der 1. Klasse, und von 1929 bis 1977 fuhren sogar zwei Luxuszüge pro Tag mit echten Pullman-Wagen, wie sie auf schmaler Spur sonst nur zwischen Chur und St. Moritz anzutreffen waren!
Zu Beginn möchte ich die zehn 1928/29 gebauten Drehgestell-Lokomotiven vorstellen. Sie gehören der Bauart der "Unechten Krokodile" an. FEVE 4001 ex FV 1 "Ganguren" (HSP 1572/BBC 2832) mit durchgehendem Personenzug Bilbao - San Sebastian in Zumaya, links Tw1 der Bahn Zumaya - Zumarraga. Letztere fuhr seit der Eröffnung 1926 elektrisch und war damit der erst 1928 elektrifizierten FV etwas voraus.
Dazu ein paar theoretische Gedanken: Echte Krokodil-Lokomotiven sind grundsätzlich dreiteilig. Der mittlere Teil mit den beiden Führerständen weist als einziger die volle Höhe auf und umfasst etwa ein Drittel der Gesamtlänge der Lokomotive. Er ruht auf zwei symmetrischen Drehgestellen mit langgestreckten, halbhohen Aufbauten, in denen die Antriebsmotoren und weitere technische Einrichtungen untergebracht sind. Typischerweise besitzen "Echte Krokodile" ein oder zwei Fahrmotoren pro Drehgestell, welche die Achsen mit Schlitzkuppelstangen (ÖBB 1089/1189), Dreiecksrahmen mit Blindwelle (SBB Be 6/8 II) oder Winterthurer Schrägstangen (SBB Be 6/8 III, Ee 6/6, De 6/6, RhB Ge 6/6, Bauart WCG1 in Indien) antreiben, später kam auch Einzelachsantrieb zum Einsatz (DB E93/E94, ÖBB 1020, Bernina-Lok Ge 4/4 182 der RhB). Ihre konstruktiven Verwandten im Bereich der Dampflokomotiven sind die Garratts.
Sobald die Vorbauten nicht beweglich auf den Drehgestellen gelagert sind, sondern zum Hauptrahmen gehören, muss man trotz äusserlicher Ähnlichkeit mit den vorher geschilderten "Echten Krokodilen" von einer grundsätzlich anderen Bauart sprechen. Zwischen 1925 und 1935 entstanden in vielen Ländern elektrische Drehgestell-Lokomotiven mit Einzelachs- oder Gruppenantrieb, welche beidseits eines in voller Höhe ausgebildeten Kasten-Mittelteils markante Vorbauten besassen. Diese Bauart möchte ich an dieser Stelle als "Unechte Krokodile" bezeichnen, da doch wesentliche Merkmale der "Echten Krokodile" fehlen. In Italien gehören die Drehstromloks der Reihe E431 zu den "Unechten Krokodilen", in der Schweiz die HGe 4/4 11-15 der Brig-Visp-Zermatt-Bahn. Wie das Beispiel der FV-Lokomotiven zeigt, wurde manchmal praktisch die gleiche Bauart wenige Jahre später mit Endführerständen, also ohne Vorbauten, nachbestellt - das wäre bei einem "Echten Krokodil" grundsätzlich nicht denkbar gewesen. FEVE 4001 ex FV 1 "Ganguren" und FEVE 11 "Ego-Arbitza"/ASEA 706 von 1931) vor Güterzug mit Stahlblech in Durango:
Nun ist klar, dass die 10 leistungsfähigen Streckenloks der FV aus der Elektrifikationszeit "Unechte Krokodile" sind. Der mechanische Teil wurde schon 1927 von Haine-St-Pierre in Belgien unter den Fabriknummern 1572-1580 und 1586 angefertigt. Die elektrische Ausrüstung erfolgte 1928 durch BBC Española unter den Fabriknummern 2832-2840 und 2964, aber wahrscheinlich nicht in Madrid, wie es die Lokschilder suggerieren, sondern in der FV-Werkstätte Durango. Von dort aus fanden auch die Probe- und Instruktionsfahrten statt. Als veritable Hauptbahn erhielt die FV eine moderne, selbstnachspannende Fahrleitung für 1750 Volt Gleichstrom nach den Plänen des italienischen Elektrifizierungs-Pioniers Lello Pontecorbo; vor Ort leitete der Schweizer Ingenieur Karl Isler die Arbeiten. Die Spannung wurde betrieblich schliesslich auf 1500 Volt festgesetzt. Die BBC-Lokomotiven erreichten bei einem Gewicht von 45 Tonnen eine Stundenleistung von 700 kW und eine Zugkraft von 5,7 Tonnen. Damit waren sie den bisher verwendeten Dampflokomotiven der Achsfolge 1'C (21 Stück, davon 13 in Stütztender-Bauart) weit überlegen. FEVE 4001 ex FV 1 "Ganguren" wartet am 15. Mai 1979 in Amorebieta auf den wegen Bauarbeiten mit Diesellok geführten Personenzug aus Bilbao.
FEVE 4001 ex FV 1 "Ganguren" in den renovierten Gleisanlagen des Bahnhofes Bilbao Atchuri, 27. Mai 1979. Die Lok wird schon vor 1990 abgestellt und bald darauf verschrottet.
Passend zu den damals neu beschafften Pullmanwagen erhielten die elektrischen Lokomotiven und Triebwagen der FV ursprünglich einen attraktiven Anstrich in den CIWL-Farben hellcrème (oben) und dunkelviolett (unten). In den furchtbaren Jahren des Spanischen Bürgerkrieges war dieser Anstrich zu auffällig, und alle FV-Fahrzeuge wurden mit einer undefinierbaren bräunlichen Tarnfarbe ("ocre castrense") gestrichen, die je nach der exakten Mischung später nachdunkelte oder ausbleichte. Die Zierleisten waren dunkel abgesetzt. Erst ab der Verstaatlichung 1974 hielten wieder freundlichere Farben Einzug. Das helle FEVE-Blau stand sowohl den Lokomotiven wie den Wagen deutlich besser. FV 2 "Ulia" (HSP 1573/BBC 2833) im unattraktiven FV-Anstrich als zweites Triebfahrzeug hinter einem Ganz-Triebwagen in Durango, abfahrbereit mit einem Personenzug Richtung San Sebastian, 24. Juni 1976.
Einfahrt von FV 2 "Ulia" mit einem durchgehenden Personenzug Bilbao - San Sebastian in den Bahnhof Euba, 14. Mai 1978. Das Kreuzungsgleis ist zu dieser Zeit ausser Betrieb, das dritte Gleis nur noch ostseitig angeschlossen, Fahrleitung und Schotterbett zeigen noch die einstige westliche Einbindung. Heute ist die Strecke hier durchgehend doppelspurig, die im Hintergrund sichtbare Kurve deutlich gestreckt.
Mit diesem Zug fahre ich bis zum nächsten Bahnhof, dem FV-Betriebsmittelunkt Durango. Hier kann ich den eindrücklichen Zug in seiner vollen Länge aufnehmen. Die typischen kurzen Vierachser der FV sind Umbauwagen aus den Jahren 1941 bis 1958, an vierter Stelle läuft ein luxuriöser Seitengangwagen 1. Klasse, am Zugschluss ein hellblau leuchtender Postwagen. Links neben Lok 2 ein abgestellter Pullmanwagen im dunkelblauen Anstrich.
Porträt von FV 2 "Ulia" im Bahnhof Durango. Die Lok macht einen äusserst ungepflegten Eindruck, der strenge Betrieb ist ihr anzusehen.
FV 2 "Ulia" in Amorebieta, abfahrbereit Richtung Durango, 3. August 1977. Rechts der stillgelegte Wasserturm, links der frühere Güterschuppen.
Sonntagsruhe im Rundschuppen Durango, FV 2 "Ulia" neben Ganz-Triebwagen M.CD 7, flankiert von zwei der vier modernen Triebwagen der Serie 3151-3154.
FV 2 "Ulia" abgestellt in Durango, rechts hinten der alte, hölzerne Rundschuppen mit zwei alten Triebwagen, links der neuere Rundschuppen in Betonbauart aus der Elektrifikationszeit. Edit: Nach 1990 wird die Lok ins Baskische Eisenbahnmuseum nach Azpeitia verlegt und dort aufgearbeitet.
Weitere Beiträge über Bahnen in Spanien:
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