Hallo,
mein kürzlicher Besuch im Stadtarchiv Griesheim förderte einige interessante Bilder aus vergangenen Riedbahnzeiten zutage. Heute möchte ich euch Posten 79 vorstellen. Der Streckenwärter an diesem Posten war für die Schranken am Bahnübergang der 1932 eingerichteten Reichs-, später Bundesstraße 26 von Mainz nach Darmstadt zuständig. Wie wir auf dem ersten Bild erkennen können, handelte es sich anfänglich um eine zwar asphaltierte, aber nicht sehr breite Straße.
Bemerkenswert ist die traute Eintracht zwischen zwei konkurrierenden Cola-Giganten. Was unterhalb des Pepsi-Schildes zu lesen ist, kann ich auch auf der mir vorliegenden Datei nicht erkennen. Das viereckige, ebensowenig lesbare Schild würde vielleicht verraten, ob auf dem Gelände des Bahnwärterhauses ein kleiner Biergarten stand. Das Dach des Vorbaus wurde verlängert, so daß im Gegensatz zu Bild 2 die Postennummer unsichtbar bleibt.
Auf diesem Bild können wir das Schild eines lokalen Bierbrauers sehen. Das Dach des Vorbaus ist noch nicht oder wieder nicht tiefer heruntergezogen, das Fenster zugemauert. Ob dieses Bild vor oder nach dem ersten entstanden ist, vermag ich nicht zu sagen.
Der Bahnübergang wurde aufgrund des gesteigerten Verkehrsaufkommens in den 50er Jahren zum Hemmnis der freien Bürgerfahrt. Wer die lokale Presse der damaligen Zeit liest, muß den Eindruck gewinnen, als hätte sich ein ganzes Volk auf das inzwischen halbwegs erschwinglich gewordene Automobil gestürzt. Der Blitzkrieg der Nazizeit wurde ersetzt durch die Raserei auf den weitgehend darauf nicht vorbereiteten Straßen. Ein Wochenende ohne mehrere Tote im lokalen Umkreis war eher selten. Offensichtlich war der Wirtschaftswunderbürger von der ihm zur Verfügung gestellten Technik völlig überfordert. Es bedurfte ausgedehnter verkehrserziehender Kampagnen und natürlich vieler vieler neuer Straßen, um die Todesrate nicht weiter ausufern zu lassen.
1957 begannen die Arbeiten an der Überführung der Straße über die zweigleisige Strecke. Ein Jahr später war das (geplant) 4 Millionen DM teure Projekt mit zwei Fahrspuren fertiggstellt, 1959 kamen zwei weitere Fahrspuren hinzu. Dieser fast schon autobahnmäßige Ausbau der vorherigen einfachen Landstraße wurde noch getoppt durch die Umwidmung der Strecke zur Bundesautobahn, der heutigen A 67. Im Sommer 1963 wurde hierfür die gerade erst fertiggestellte Straße wieder gesperrt und der Fernverkehr durch die Griesheimer Dorfstraßen umgeleitet, was zu erheblichen Verkehrsproblemen geführt haben muß. Herausgekommen ist – siehe Bild 3 – das Darmstädter Kreuz.
Am 30. Juli 1965 eröffnete der damalige Bundesverkehrsminister Seebohm den Streckenabschnitt vom Mönchhof-Dreieck zum Darmstädter Kreuz. Am Posten 79 ist die Automobilmachung der Republik nicht spurenlos vorbeigegangen. Bild 4 zeigt die Bauarbeiten im Jahr 1957. Hier zeigt sich das Bahnwärterhaus um ein zweites Gebäude erweitert. Zudem steht direkt am Straßenrand eine Bude, die auf den beiden ersten Bildern nicht zu erkennen ist. Das folgende Bild (für die Freunde der Dampflok sogar mit einer solchen) zeigt den Zweck dieser Bude, sofern es sich um denselben Bahnübergang handelt, was ich aufgrund der architektonischen Eigenheiten des Bahnwärterhauses jedoch vermute. Vermutlich wurde das Foto dann von der im Bau befindlichen Brücke geschossen. Angenommen, dem ist so, dann verrät uns der Schatten, daß es sich um den nur die 2. Klasse führenden Personenzug 3619 von Goddelau-Erfelden nach Darmstadt handelt, Griesheim ab 9.56, Darmstadt Hbf. an 10.10.
Bleibt die Frage, ob das (auch) andernorts vorgekommen ist, daß der Schrankendienst mit einem Ausschank verbunden wurde. Und welche Lok die Donnerbüchsen durchs Ried (hier Richtung Darmstadt) gezogen hat, werden die Experten unter euch mir sicherlich auch verraten können.
Nachtrag: Heute steht das Bahnwärterhaus nicht mehr. Es wurde zugunsten des Baus der nördlichen Griesheimer Umgehungsstraße etwa 1990 entfernt. Da ein Bahnübergang für diesen Nordring als zu teuer angesehen wurde, veranlaßte der Griesheimer Bürgermeister, daß die Bahn auf der Strecke von Darmstadt nach Griesheim auch den Güterverkehr einstellte. Die Gleise wurden entfernt, der Schotter blieb liegen, und inzwischen wagt es die eine oder andere Pflanze, sich durch die Giftcocktails früherer Zeiten durchzuwachsen.
Quelle: Die vier Fotos entstammen dem (angenehm aufgeschlossenen und kooperativen) Stadtarchiv in Griesheim, den Lageplan habe ich aus dem Griesheimer Anzeiger abfotografiert.
Mein (bescheidenes)
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