Liebe HiFo-Gemeinde,
Eisenbahn, insbesondere Dampflokomotiven in Südafrika. Für manchen ein vielleicht exotisches Thema. Früher auch für mich.
Meine ‚Initialzündung’ erhielt ich 1977. Damals war ich als Teilnehmer einer Reisegruppe unterwegs, welche die letzten Dampfhochburgen der Tschechoslowakei besuchte. Eines Abends saß ich beim Essen neben einem Schweizer, mit dem ich schnell ins Gespräch kam, und der mir von Südafrika erzählte. An einen seiner ersten Sätze kann ich mich noch gut erinnern: „Ich war schon drei mal in Südafrika, odrrrr?“ Und dann zeigte er mir Bilder von Dampflokomotiven teils eigenartiger Konstruktion, wie ich sie noch nie vorher gesehen hatte. Den Begriff Garratt hörte ich damals das erste mal und war äußerst erstaunt und zugleich fasziniert von dieser für mich mehr als merkwürdigen Konstruktion. Und ich dachte mir: ‚Dorthin werde ich nie kommen.’
Aber nie sollte man eben nie sagen bzw. denken. Zwei Jahre später, 1979, bot eine deutsche Eisenbahnzeitschrift eine Leserreise nach Südafrika an. Und ich griff sofort zu. Damit begann eine Geschichte für mich, die noch immer andauert. Kein Land – mit Ausnahme von Österreich – besuchte ich bis heute häufiger als Südafrika.
Die SAR - South African Railways - organisierten seit 1977 Sonderfahrten der besonderen Art. Diese Fahrten führten meist über mehrere tausend Kilometer und dauerten länger als eine Woche. Für die gesamte Fahrtdauer war der Zug nicht nur Transportmittel, sondern quasi auch Unterkunft und Restaurant. Eine praktische Sache, wenn es auch manchmal etwas seltsam wirkte, wenn sich beispielsweise beim Abendessen verrußte Eisenbahnnarren von Kellnern in Livree ein 5-Gang-Menue servieren ließen - man mußte das Fotolicht einfach ausnutzen, da war vor dem Essen nicht immer zum Waschen Zeit ;-)
Die Regelspur im gesamten südlichen Afrika ist für europäische Verhältnisse schmalspurig: Die Spurweite beträgt 1067 mm. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß dort Lokomotiven im Einsatz sind, die es mit europäischen Typen hinsichtlich Größe, Leistung und Reibungsgewicht problemlos aufnehmen können. 20 t Achsdruck und mehr sind auf Hauptstrecken nichts Ungewöhnliches. Und - so merkwürdig es erscheint: Das Lichtraumprofil entspricht fast dem europäischer Bahngesellschaften, trotz der deutlich schmaleren Spurweite.
Jetzt aber genug der Vorrede, hier nun Teil 1 meiner ersten Eisenbahn-Reise durch Südafrika.
Teil 1: Die ersten 423 km:
Johannesburg – Germiston – Vereeniging – Kroonstadt – Bloemfontein
Die erste Aufnahme, Bild 1, hat zwar nichts mit der Eisenbahn zu tun, sie gehört aber einfach zu dieser Geschichte dazu: 1979 herrschte in Südafrika noch das Apartheit-Regime: Als letztes Land weltweit wurde in Südafrika die in der dortigen Verfassung verankerte Rassentrennungspolitik praktiziert. Dementsprechend war das Land von den anderen afrikanischen Staaten geächtet. Die Flugzeuge der SAA durften daher nicht über das afrikanische Festland fliegen. Folglich ging der Flug von Frankfurt/Main erst nach Westen zu den Kanarischen Inseln, wo es eine erste Zwischenlandung gab. Danach ging es weiter über den Atlantik. Erst über Namibia, das seinerzeit noch unter südafrikanischer Verwaltung stand, konnte das Festland überflogen werden. Nach einer weiteren Zwischenlandung in Windhoek errichte der Jumbo nach gut 16 Stunden endlich Johannesburg.
Bild 1
links: Sonntag, 04. November 1979: Nach über 13 Stunden im Flieger kommt Land in Sicht: South West Africa oder Namibia ist erreicht.
rechts: Jan Smuts International Airport, Johannesburg, wirkt wie ausgestorben. 1979 konnte man - anders als heute - nicht täglich nach Südafrika fliegen.
Nach gut 16 Stunden im Flugzeug endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Heute fliegt man die Strecke nonstop mit einer um rund 5 Stunden kürzeren Flugzeit.
Bild 2
Die Fahrtroute unseres Zuges - grün markiert: die Strecke zum heutigen Beitrag.
Bild 3
km 0, Milner Park station, ein (Abstell-)Bahnhof mitten in einem Johannesburger Parkgelände, den Milner Park Showgrounds. Hier wartet unser Zug auf seine rund 90 Fahrgäste aus aller Welt.
Bild 4
Milner Park station liegt auf etwa 1700 m Höhe, unweit des Johannesburger Hauptbahnhofs.
Bild 5
Bereits sehr früh am Morgen des 05. November 1979, um 04:50 Uhr, setzt sich unsere 'Fuhre' in Bewegung. Eine Diesellok bringt den Zug die ersten 16 km von Milner Park über Jo'burg nach Germiston. Die Sonne steht noch sehr flach, als wir über das Gleisvorfeld von Germiston einrollen. Parallel zu unserem Zug bewegt sich eine 12R, die hier im Rangierdienst sowie für lokale Güterzugleistungen tätig ist.
Der Berg im Hintergrund ist übrigens nicht natürlichen Ursprungs: Es handelt sich um die alte Abraumhalde eines Goldbergwerks.
Zwischenbemerkung: class 12R: (siehe Bild 5)
Dieser sehr zuverlässige Loktyp (Achsfolge 2'D1 oder 4-8-2) ist 1979 die älteste bei den SAR eingesetzte Baureihe, erstmals 1912 gebaut. Bis 1921 wurden 76 class 12 und class 12B (= die leichtere Variante, B steht für 'Branch line', also Nebenbahn) von North British, Beyer Peacock und Baldwin gebaut. Mit neuen Kesseln ausgestattet und damit als class 12R bezeichnet (R steht für 'rebuilt with standart boilers' = neubekesselt, mit Einheitskesseln) sind 1979 noch immer 73 Loks im Dienst: 26 in Port Elizabeth und 47 im Gebiet des Witwatersrand, verteilt auf die Depots Germiston, Springs und Kazerne.
Von Germiston nach Kroonstad mit 15CA 2850
Bild 6
km 14, Germiston: Eben hat sich 15CA 2850 an den Zug gesetzt. Sie ist der ganze Stolz des loco shed foreman, des örtlichen Depot-Chefs hier, man sieht ihr das auch an.
Zwischenbemerkung: class 15CA: (siehe Bilder 6, 7, 9-13)
Diese Baureihe (Achsfolge 2'D1 oder 4-8-2), ebenso wie die optisch gleiche, bereits aus dem Dienst ausgeschiedene class 15CB, stellt die erste wirklich moderne Hauptstreckenlokomotive dar, die für Südafrika gebaut wurde. Der Auftrag zu ihrem Bau resultierte letztlich aus einem Besuches der USA durch SAR-Ingenieure, sie wollten den dortigen Lokomotivbau aus erster Hand kennenlernen. Von 1925 bis 1930 wurden 84 Loks geliefert, gebaut von Alco, Baldwin, Breda und North British. Diese Baureihe bewährte sich von Anfang an ausgezeichnet.
Ihr letzer Hauptstreckendienst erfolgte bis zur Elektrifizierung 1977/78 auf der Strecke Pretoria-Witbank. 1979 sind diese Loks hauptsächlich für schwere Rangieraufgaben in Pretoria und Witbank eingesetzt, Dienste, für die sie wegen ihrer Leistung und sehr geringen Schleuderneigung besonders gut geeignet sind.
Bild 7
Unsere 15CA kurz vor der Abfahrt in Germiston. Der Ort liegt übrigens 1661 m hoch.
Das 'Buchstabenkreuz' am Tender enthält die Kurzbezeichnung für die Staatsbahn in den beiden offiziellen Landessprachen:
SAR (horizontal)= South African Railways (in englisch) und SAS (vertikal) = Suid Afrikaanse Spoorwee (in afrikaans)
Bild 8
Ausfahrt aus Germiston, östlich vom Bahnhof befindet sich das Dampflokdepot. Ganz links ist die gewaltige Bekohlungsanlage zu sehen, davor eine abblasende 15CA. Gleich links des weißen Gebäudes eine 12AR (sehr ähnlich der 12R aus Bild 5). Vorn fährt parallel zu uns ein 'commuter train' - ein Pendlerzug und bringt vermutlich Arbeiter in eines der Goldabbaugebiete, die hier reichlich vorhanden sind. Auf zweigleisigen Strecken herrscht in Südafrika Linksverkehr, der Triebwagenzug bewegt sich also von links nach rechts.
Bild 9
km 78, der Zug gegen 7 Uhr in Vereeniging. Für die 15CA ist hier ein Wasserhalt eingelegt. Vereeniging liegt in 1448 m Höhe am Vaal River und ist eine größere Industriestadt (vor allem Stahlindustie). Unmittelbar nach Vereeniging quert die Bahnstrecke die Grenze von Tranvaal in den Orange Free State.
Bild 10
Blick vom Bahnsteig in den Führerstand. Der große 'Messingblock' vorne gehört zur Saugluftbremse.
Bild 11
km 154: Die 15CA faßt erneut Wasser, diesmal in Koppies.
Bild 12
Die gleiche Szene aus einem anderen Blickwinkel. Rechts eine 'semaphore', ein typisches Formsignal.
Bild 13
Ein letztes Bild dieser Szene, der Meister legt beim Entschlacken selbst Hand an. Interessant auch die schwungvolle Verdrahtung der Lichtmaschine.
Von Kroonstad nach Bloemfontein mit 16E 858
Bild 14
km 217, Kroonstad: Lokwechsel: Die Pacific 16E 858 hat sich eben vor unseren Zug gesetzt. Sie ist eine echte Rarität und nicht mehr im regulären Einsatz. Nur sechs Lokomotiven dieses Typs wurden gebaut, und zwar alle von Henschel.
Zwischenbemerkung: class 16E: (siehe Bilder 14, 16-20, 22-26)
Die Schnellzugdampflok-Baureihe 16E (Betriebsnummer 854 - 859) wurde vom südafrikanischen Ingenieur Allen G. Watson konstruiert und in insgesamt nur 6 Exemplaren von Henschel & Sohn in Kassel gebaut. Das Lok-Dienstgewicht einschließlich Tender beträgt 169,7 t, die 16E hat eine Ventilsteuerung vom Typ R.C.Poppet, Länge über Kupplungen: 21,85m.
Die erste Indienststellung erfolgte 1935. Stationiert waren die Loks im Kimberly Locomotive Depot. Ihre Aufgaben waren die Beförderung von Expresszügen südlich bis Beauford West und nördlich nach Johannesburg.
Die 16E repräsentiert den Höhepunkt der Pacific Lokomotiven bei den SAR. Der Treibraddurchmesser liegt bei 1828,8 mm – es ist sind die größten Räder, die bis heute weltweit auf Kapspur zum Einsatz kamen.
Kurz nach der Indienststellung wurden mit 16E 854 Schnellfahrversuche unternommen mit Geschwindigkeiten bis 136,8 km/h (bzw. 85 m.p.h.), wobei dabei der Regler nur halb geöffnet war und eine Last von 350 t gezogen wurde. Nachdem diese Versuche sehr zufriedenstellend verlaufen waren, wurden weitere Schnellfahrversuche unternommen. Die höchste erreichte Geschwindigkeit war 97 m.p.h. / 156 km/h, absoluter Weltrekord für eine Dampflokomotive auf Kapspur!
Auch schon vor dem Internet-Zeitalter gab es Informationen, wonach die 16E sogar mehr als 100 m.p.h / 160 km/h erreicht haben soll – offiziell bestätigt ist das aber nicht (im Gegensatz zu den 156 km/h).
Gebaut wurden die 16E als Prestigeloks für den ‚Union Limited’, den Vorläufer des Blue Train. Für die neuen Ganzstahlwagen des Blue Train waren sie aber nicht leistungsfähig genug, weswegen sie dann nach Bloemfontein abgegeben wurden, wo sie noch jahrelang im hochwertigen Personenzugdienst tätig waren.
Da auf den meisten Strecken der SAR die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 55 m.p.h / 88,5 km/h beschränkt war, konnte die 16E im regulären Dienst ihre zulässige Höchstgeschwindigkeit (die wurde auf 70 m.p.h. / 112,6 km/h festgelegt) nie ausfahren. Da 4-Kuppler mit kleineren Raddurchmessern wesentlich schneller auf die zulässige Streckenhöchstgeschwindigkeit beschleunigten, wurden die letzten 16E im Jahr 1972 ausgemustert.
16E 858 blieb betriebsfähig durch das Eisenbahnmuseum erhalten, in Bloemfontein stand 1979 eine weitere 16E als Denkmal vor dem Bahnhof – sie sollte Jahre später wieder betriebsfähig aufgearbeitet werden.
Bild 15
Ausfahrt aus Kroonstadt: eben wird eine Rangiergarnitur passiert, bei der Lok handelt es sich um eine 15F. Diese markante Loktype ist 1979 zunehmend im Rangierdienst zu finden. Als Streckenlok werden die 15F mehr und mehr durch Elektrifizierung verdrängt.
Vom 1369 m hoch gelegenen Kroonstad steigt die Strecke auf 1445 m bis Bosrand Station, dabei hält sich die Geschwindigkeit noch in Grenzen. Was dann folgt, ist jedoch die schnellste Fahrt der ganzen Steamsafari: Die 16E ist für Schnellfahrten gebaut, und genau dies findet jetzt statt...
Bild 16
Nach der Schnellfahrt, Halt in Hennenman, die 16E geht hier zum Wasserfassen vom Zug.
Bild 17
Die 16E an einem Wasserkran, einer für südafrikanische Bahnen sehr seltenen Ausführung. Daneben 15F 3092 mit dem Tender einer class 23 gekuppelt, eine ebenfalls nicht alltägliche Kombination.
Bild 18
Anderer Standpunkt, aber gleiche Szene wie im Bild 17. Links im Bild deutlich zu sehen die Kardanwelle für die Ventilsteuerung der 16E.
Bild 19
Rechte Führerstandsseite der 16E: Über dem Lokschild der Name des 16E-Konstrukteurs: Allen G. Watson.
Bild 20
Während der 'Meister' den Aschkasten kontrolliert, läuft noch immer Wasser in den knapp über 27 m3 Wasser und 14 t Kohle fassenden Tender.
Bild 21
Nochmals 15F 3092 in voller Breitseite. Das rautenförmige Fabrikschild unter dem Lokschild weist auf den Hersteller North British hin. Loks dieser Baureihe wurden aber auch von einigen deutschen Lokomotivfabriken gebaut. Untypisch für diese Baureihe ist der 6achsige Tender, der einst zu einer class 23 gehörte. Standardmäßig verfügt die Reihe 15F über einen 4achsigen Tender.
Bild 22
16E 858 rollt mit aufgefüllten Vorräten zurück zu ihrem Zug.
Bild 23
km 331, Vetrivier Station, der nächste Wasserhalt. Auf der gegenüberliegenden Gleisseite ein für die SAR typischer Wasserturm. Der Wasserbehälter besteht aus quadratischen Blechen. Damit können Wassertürme den örtlichen Bedürfnissen entsprechend, unterschiedlich groß in Höhe, Länge und Breite, gebaut werden.
Bild 24
Die 16E am - bei der SAR sehr selten zu sehenden - schwenkbaren Wasserkran. Vetrivier station.
Bild 25
Mit ergänztem Wasservorrat dampft 16E 858 wieder vor zu ihren Zug.
Bild 26
16E 858 am Bahnsteig in Bloemfontein (die Stadt liegt 1392 m hoch) in der Nachmittagssonne. Inzwischen haben wird seit Jo'burg Milner Park 423km hinter uns gebracht. Hier wird die Pacific nun durch eine noch größere und schwerere Lokomotive, einer in Deutschland gebauten class 23 abgelöst (sie hat nur wenig bis nichts mit einer DB- oder DR-23er zu tun) ...
...aber darüber mehr in Teil 2 meines Beitrags - na denn, bis in Kürze.
Viele Grüße aus dem Land der Franken
Günter
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Und hier geht's weiter zu Teil 2:
Nov. 1979: Steam Safari: 4000km auf Südafrikas Gleisen, Teil 2 (m22B) - Von der Hauptstrecke auf die Nebenbahn: Bloemfontein – Burgersdorp – Aliwal North – Lady Grey
[link zu Teil 2 nachgetragen]
[edit: 'verschwundene' Bilder wieder sichtbar gemacht; 18.03.2012]
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 2012:03:18:13:57:38.