Zunächst der obligatorische Warnhinweis: Nach wie vor sind die Siebziger hier nicht die siebziger Jahre, sondern die Baureihen 70 bis 79 im Nummernsystem der Deutschen Reichsbahn.
Was gab es bisher:
Teil 1: BR 70.0 (bayr. Pt 2/3),
BR 70.1 (bad. Ig)
Teil 2: BR 74.4 (pr. T12),
BR 74.13 (LBE T12)
Teil 3: BR 75.0 (wü. T5)
Teil 4: BR 75.1 (bad. VIb),
BR 75.4 (bad. VIc),
BR 75.10 (Nachbau bad. VIc)
Teil 5: BR 75.6 (BLE),
BR 75.6 (ELE),
BR 76.0 (pr. T10),
BR 77.0 (pfalz P5)
Streifzüge haben es so an sich, dass man manchmal den geraden Weg verlässt und ein wenig nach rechts und links schaut, was es da noch so gibt. Im letzten Teil haben wir die Privatbahnen abgegrast, heute wollen wir mal über die Grenze nach Österreich schauen.
Im ersten Teil hatten wir schon eine bayerische PtL 2/3, BR 70.0, die es nach dem 2. Weltkrieg in die Alpenrepublik verschlagen hatte. Neben deutschen Loks in Österreich sind es hier aber auch die österreichischen Lok selbst, die unter das Generalthema "Siebziger" fallen.
Nach dem "Anschluss" Österreichs an das deutsche Reich (offiziell zum 13.03.1938) wurden die Bundesbahnen Österreichs (BBÖ) der Deutschen Reichsbahn einverleibt und sämtliche Lokomotiven entsprechend dem Nummernsystem der DR umgezeichnet – Personenzug-Tenderloks also in den Siebziger-Nummernblock. Nach dem Krieg übernahm die ÖBB als wieder eigenständige Staatsbahn das deutsche Nummernsystem in seiner Grundstruktur, ergänzt um einige sehr sinnvolle Erweiterungen zur besseren Abgrenzung der Unterbaureihen.
Da auch Österreich eine Vielzahl von Personenzug-Tenderloks hatte, von denen Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre noch etliche in Betrieb waren, geht’s wieder ganz vorne los: Mit der Baureihe 71.5 (wenn wir schon nicht die DR Einheitslok BR 71 präsentieren können, dann wenigstens dieses österreichische Unikum).
Die BBÖ beschaffte zwischen 1935 und 1938 bei der Lokomotivfabrik Floridsdorf in Wien 20 leichte 1’B1’ Maschinen für den Nebenbahnbetrieb, die als Besonderheit einen kleinen Gepäckraum am hinteren Lok-Ende besaßen. Aus österreichischer Sicht handelte es sich damit um einen Dampftriebwagen mit der Bezeichnung DT1. Die DR sah darin eher eine Lokomotive und ordnete die Loks in die BR 71.5 ein. Die ÖBB behielt die Baureihennummer bei, machten aber wieder einen Dampftriebwagen daraus, sodass sich nunmehr die neue Reihe 3071 ergab. Bemerkenswert ist vielleicht noch, dass sich in dem sehr geräumigen Führerstand sogar ein Klappsitz für den Zugführer befand.
Solch ein Gerät erwischte HS am 17.09.58 in Gänserndorf, wo es von der Nordbahn aus ins Weinviertel geht. Der Dampftriebwagen
3071.16, ex DR
71 516, ex BBÖ
DT1.16 setzt gerade um und passiert dabei den im Vorfeld des Bahnhofs postierten Fotografen.
Bild 46:
Da die kleine Lok immerhin für 100 km/h ausgelegt war, mussten die Treibräder entsprechend groß sein. Das wiederum ließ die Maschine etwas hochbeinig wirken, was zusammen mit der auch sonst nicht gerade harmonischen äußeren Gestaltung zu dem wenig schmeichelhaften Spitznamen "Dorftrottel" führte.
Auch von hinten wird das Erscheinungsbild nicht besser. In dieser Ansicht von
3071.16 kommt allerdings der rückwärtige Gepäckraum recht gut zur Geltung.
Bild 47:
Die gezeigte 3071.16 blieb noch fast 10 Jahre im Dienst und wurde erst am 11.05.68 ausgemustert. Erfreulicherweise gibt es auch heute noch einen "Dorftrottel", und zwar 3071.07 im EM Straßhof.
Die nächste österreichische Baureihe in unserer kleinen Serie ist die BR 75.7. Zwischen 1904 und 1917 beschaffte die Kaiserlich-königliche Staatsbahn (kkStB) insgesamt 239 Nassdampf-Loks der Reihe 229 mit der Achsfolge 1’C1’ und, bemerkenswerter Weise, in Zwei-Zylinder-Verbund Ausführung. Weitere gleichartige Maschinen gingen an die Südbahn und die Eisenbahn Wien – Aspang (EWA). Damit war die Reihe 229 eine der meistbeschafften und erfolgreichsten Tenderloks der K&K-Zeit.
In den Bestand der DR gelangten 1938 insgesamt 90 Stück als 75 701 – 790. Davon mussten nach dem Krieg etliche an die CSD und JDŽ abgegeben werden. Die bei der ÖBB verbliebenen Maschinen behielten ihre Nummer, nur dass jetzt, wie in Österreich üblich, zwischen Baureihe und Betriebsnummer ein Punkt gesetzt wurde.
Die ÖBB
75.756 ist also die ehemalige DR
75 756, vorm. kkStB bzw. BBÖ
229.219. Gloggnitz, 19.09.58.
Bild 48:
Mit den ÖBB Reihen 77.0 bzw. 77.2 sind wir jetzt bei einer Bauart angelangt, die wohl noch etliche HiFo-User selbst erlebt haben. Die ehemalige kkStB/BBÖ 629 mit der Pacific-Achsfolge 2’C1’ war eine bestens gelungene Heißdampf-Maschine, die in ähnlicher Form auch von der PKP und CSD nachbeschafft wurde. Die DR nummerierte die Loks ohne Unterscheidung technischer Merkmale als 77 201 – 285 ein. Die ÖBB war da nach ’45 ein wenig genauer und bezeichnete die Loks mit Kolbenschieber als 77.0, während die Loks mit Ventilsteuerung als 77.2 (und damit exakt entsprechend den DR-Nummern) eingeordnet wurden.
Den Anfang macht, wie könnte es anders sein, die
77.01, die in ihren früheren Leben einmal
77 201 (DR) hieß. HS erwischte die Lok am 14.09.58 im Bahnhof von St. Pölten. Gebaut wurde die
629.02, so ihre BBÖ/kkStB Nummer, 1917 von der StEG unter der Fabriknummer 4205.
Bild 49:
Bei einer Baureihe, die noch bis 1975 im Einsatz war, können wir natürlich auch ein paar Farbaufnahmen zeigen. So zum Beispiel
77.14 in ihrer Heimatdienststelle, der Zf Wiener Neustadt am 04.06.68. Wie fast alle 77.0 und 77.2 ist auch diese Lok mit einem Giesl-Ejektor ausgestattet. Noch ein paar Daten: ÖBB 77.14, ex DR
77 214, ex BBÖ
/kkStB 629.29, StEG 4379/22, †22.11.72.
Bild 50:
In einem Top-Zustand präsentiert sich die
77.16, die am 30.05.65 mit einem Personenzug St. Pölten in Richtung Traisen verlässt. Neben dem guten Zustand fällt auf, dass wir es hier mit einer der wenigen Loks ohne Giesl-Ejektor zu tun haben. Die ehemalige DR-Nummer lautete, inzwischen ist die Logik wohl offensichtlich,
77 216, die
kkStB/BBÖ Nummer
629.31 kann man nur nachschlagen.
Bild 51:
Das ist nun das genaue Gegenteil von einem Top-Zustand. Wenngleich: So wie
77.243, aufgenommen am 14.06.65 in Graz, habe ich die die wenigen ÖBB-Dampfloks, die ich selbst noch vor die Kamera gekriegt habe, aber durchwegs auch in Erinnerung.
In der Seitenansicht ist gut zu erkennen, dass wir es hier mit einer Lok mit Lentz-Ventilsteuerung zu tun haben, die ihre DR Nummer (bis auf zusätzlichen Punkt) behielt.
(Krauss/Li 1423/27,
kkStBBBÖ
629.58, †22.09.68)
Bild 52:
Und noch eine Ventilsteuerungs-Lok:
77.254, am 04.06.68 in der Zf Wiener Neustadt.
Auch hier ist der Rostansatz am Giesl-Ejektor neben den Griffstangen noch der farbigste Teil der Maschine. Lange hat’s die ehemalige
kkStB/BBÖ
629.69 aber auch nicht mehr gemacht, denn am 01.08.70 erfolgte ihre Ausmusterung.
Bild 53:
Das folgende Bild zeige ich trotz einiger nicht behebbaren farblichen Schwächen vor allem deshalb, weil hier ausnahmsweise eine 77.2 ohne Giesl zu sehen ist. Außerdem bekommen wir auch einmal den Zug und ein wenig von der Umgebung zu sehen. Eine so große Lok wie
77.244 (ex
kkStB/BBÖ
629.59) vor zwei Spantenwagen ist aber sicherlich überdimensioniert. Eisenstadt, 10.06.70.
Bild 54:
Kommen wir zur letzten und größten österreichischen Personenzug-Tenderlok, der Reihe 729 der BBÖ. Bei der DR wurden die 16 vorhandenen Maschinen als 78 601 - 616 eingereiht. Unmittelbar nach dem Anschluss wurden von der Reichsbahn weitere 10 Maschinen nachbestellt, die als 78 657 – 666 geliefert, aber nur kurze Zeit später in 78 617 – 626 umgezeichnet wurden. Eingesetzt wurden die modernen Maschinen mit guten Laufeigenschaften vorwärts wie rückwärts anfangs auch im Schnellzugdienst.
Bei der ÖBB wurden alle Loks mit einem Giesl-Ejektor und Heinl-Mischvorwärmer ausgestattet.
Wenn man sich
78.609 so anschaut, dann ist das schon eine imposante Maschine. Gut stehen ihr auch die bei Tenderloks eher selten anzutreffenden kleinen Windleitbleche. Wels, 09.09.58 Die wichtigsten Daten: Flor. 3053/31, BBÖ
729.09, DR
78 609.
Bild 55:
78.618 gehört bereits zu den DR-Nachbauten. Geliefert im Okt. ’38 als
78 658, wurde sie bereits im Nov. in
78 618 umgezeichnet. Im Vergleich zur vorher gezeigten 78.609 sind einige Unterschiede bzgl. Kesselaufbauten, Führerhaus(-dach) und Wasserkasten festzustellen.
Die Aufnahme entstand am 27.05.68 in der Zgfst Amstetten, ihrer Heimat-Dienststelle.
Bild 56:
Nach ihrer Ausmusterung zum 04.07.72 wurde 78.618 noch knapp drei Jahre lang als fahrbare Heizanlage 01085 verwendet. Das Bestreben einiger Eisenbahnfreunde, eine 78.6 museal zu erhalten (gedacht war übrigens ursprünglich an 78.609 von Bild 55), führte zur Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte (ÖGEG). Tatsächlich gelang es, die Lok wieder betriebsfähig aufzuarbeiten, was ihr noch zahlreiche weitere Einsätze ab 1986 bescherte. Nach einer neuerlichen HU 2007/08 in Cluj ist die Lok auch heute noch/wieder betriebsfähig.
Mit diesem Teil geht diese Beitragsfolge jetzt erst einmal in eine kleine Weihnachtspause. Die K-Scheibe, die ich mir selber gezeigt habe, hat nichts genützt – das vorliegende Material ist einfach zu vielfältig und die notwendigen Recherchen zu langwierig, um noch vor Weihnachten fertig zu werden. Und schließlich möchte ich hier ja ordentliche Beiträge abliefern ;-))
Weiter geht’s also erst im neuen Jahr. Ich hoffe, dass das Interesse an den Siebzigern bis dahin nicht erloschen ist, denn zwei Teile hätte ich noch …
Bis dahin, frohes Fest und guten Rutsch,
Ulrich B.
Hier geht’s weiter zum
nächsten Teil
Edit: berechtigten Einwand von Helmut/03 1008 eingepflegt. Danke für den Hinweis.
6-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:06:24:12:24:43.