Zunächst der obligatorische Warnhinweis: Nach wie vor sind die Siebziger hier nicht die siebziger Jahre, sondern die Baureihen 70 bis 79 im Nummernsystem der Deutschen Reichsbahn.
Was gab es bisher:
Teil 1: BR 70.0 (bayr. Pt 2/3),
BR 70.1 (bad. Ig)
Teil 2: BR 74.4 (pr. T12),
BR 74.13 (LBE T12)
Teil 3: BR 75.0 (wü. T5)
Teil 4: BR 75.1 (bad. VIb),
BR 75.4 (bad. VIc),
BR 75.10 (Nachbau bad. VIc)
Die "Prärie" Achsfolge 1’C1’, so die amerikanische Bezeichnung, war nicht nur bei den großen süddeutschen Länderbahnen beliebt, sondern fand auch bei kleineren Landes- und Privatbahnen Einzug. Einige dieser Bahnen wurden im Laufe der Zeit verstaatlicht und in die Deutsche Reichsbahn eingegliedert. Der Nummern-Systematik entsprechend wurden die 1’C1’-Personenzug-Tenderloks dieser Bahnen in die Baureihe 75 eingruppiert, beginnend mit den Betriebsnummern ab 601.
Es liegt auf der Hand, dass diese Maschinen im Bestand der DR-Lokomotiven Exoten waren, die bei erstbester Gelegenheit weiterverkauft wurden. Bei ihren neuen Eigentümern blieben sie zum Teil noch lange im Betrieb, auch wenn sie oft von Bahn zu Bahn herumgereicht wurden.
Die Braunschweigische Landeseisenbahn (BLE) stellte 1935 und 1937 insgesamt fünf 1’C1’-Tenderloks mit den Betriebsnummern 45 – 49 in Dienst, die zusammen mit der 1’D1’-Tenderlok, Betr.Nr. 44, eine kleine Lokfamilie bildeten. Entwickelt und gebaut wurden die Maschinen von Maschinenfabrik Krupp in Essen.
Nach der Verstaatlichung der BLE zum 01.01.1938 erhielten die Präries bei der DR die Nummern 75 601 – 605; am ursprünglichen Einsatzgebiet änderte sich zunächst nichts. Alle Maschinen gelangten zur DB, die sie aber bereits 1946/47 veräußern konnte: Die 75 601 an die OHE (75099), und 75 602 – 605 an die Deutsche Eisenbahn-Gesellschaft (DEG), wo sie die Betriebsnummern 226, 227, 224 u. 225 erhielten (in dieser Reihenfolge). Zunächst wurden sämtliche Loks der Braunschweig-Schöninger Eisenbahn (BSE) zur Verfügung gestellt, ab 1959 bzw. 1954 gelangten die Loks 226 und 227 bei der Moselbahn (MB).zum Einsatz.
Genaue Angaben zum Lebenslauf aller Maschinen finden sich in Ingo Hütters vorzüglichem Internetauftritt
Beiträge zur Lokomotiv- und Eisenbahngeschichte unter dem Menüpunkt Privatbahnen / Braunscheigische Landes-Eisenbahn.
Genug der Worte, schauen wir uns die Loks einmal an.
10.10.59: mit einem beachtlichen Güterzug ist die
DEG 226, ex
75 602, soeben in Andel, dem betrieblichen Mittelpunkt der Moselbahn, eingetroffen. Ich finde, die großen Windleitbleche stehen der Lok recht gut.
Bild 33:
Beim Rangieren gelingt noch eine weitere Aufnahme, die die Lok ein wenig näher und mehr von der Seite zeigt. Bei diesem Bild ist auch in der Verkleinerung noch zu erkennen (erahnen), dass auf dem Lokschild unter der Nummer ein kleines DEGA angegeben ist. Das war die offizielle Abkürzung für die Deutsche Eisenbahn Gesellschaft vor dem Krieg, als sie noch als AG firmierte. Im Zuge einer Reorganisation wurde sie 1952 in eine GmbH umgewandelt und kürzte sich nur noch DEG ab.
Bild 34:
Gut zwei Jahre vorher, am 30.09.57, traf HS in Trier bereits die andere ex BLE Prärie der Moselbahn an. Bei Lok
227 handelt es sich um die ehemalige
75 603, ex BLE 47.
Bild 35:
Eine weitere Bahn, die 1’C1’-Tenderloks in Dienst stellte, war die Eutin-Lübecker Eisenbahn (ELE). Immer einzeln, Lok für Lok, wurden zwischen 1924 und 1928 insgesamt vier gleichartige Maschinen von Henschel an die ELE geliefert, die nach der Verstaatlichung zum 01.01.41 die DR-Nummern 75 631 – 634 erhielten. Während 76 633 nach dem Krieg bei der DR(Ost) verbleib, wurden die drei anderen bereits 1946 von der DB an die Deutsche Eisenbahn Gesellschaft verkauft, wo sie die Nummern 221 – 223 erhielten und zunächst bei der Teutoburger Wald Eisenbahn (TWE) eingesetzt wurden.
Die erste Lok aus dieser Reihe, die TWE
221 sehen wir hier am 03.09.61 in der TWE-Werkstatt in Lengerich. Bei der ELE trug sie die Nummer 11 (Zweitbesetzung), bei der DR hieß sie
75 631.
Bild 36:
In klassischer Bellingrodt Fotostellung präsentiert sich
TWE 223 am 19.08.57 in Gütersloh. Bei dieser Lok handelt es sich um die ex DR
75 634, die 1928 unter der Fabriknummer 21341 von Henschel als Lok 14 (in 3. Besetzung) an die ELE geliefert wurde.
Bild 37:
Gleiche Lok, gleicher Blickwinkel, aber an anderem Ort (Lengerich), etliche Zeit später (18.05.69) und in Farbe:
Für eine EF-Sonderfahrt ist
TWE 223 äußerlich schön herausgeputzt worden.
Bild 38:
Abschließend noch ein Bild von eben dieser Sonderfahrt. Allzu viele Aufnahmen gibt es nicht von dieser Fahrt, was einmal am Wetter, zum anderen an den Fotostellen gelegen haben mag. Die beste Aufnahme ist noch aus dem Bahnhof Lengerich, auch wenn die Lok hier rückwärts am Zug gekuppelt ist – aber auch das ist schließlich eine ganz normale Betriebssituation.
Bild 39:
Die 223 blieb noch bis 1970 bei der TWE, auch wenn sie in den letzten Jahren meist nur als Reserve-Lok diente. Danach wurde sie an die Farge-Vegesack Eisenbahn (FVE) weitergereicht, wo sie schließlich 1971 ausgemustert wurde. 1973 wurde die Lok dem "Verein Verkehrsamateure und Museumsbahn (VVM) übergeben, der sie seitdem museal erhält.
Bisher hatten wir es in diesem Teilbeitrag mit Lokomotiven zu tun, die von Privatbahnen beschafft, von der DR übernommen und wieder weiterveräußert wurden. Wie schon bei der WLE 0022 im ersten Teil gab es auch zahlreiche ehemalige Staatsbahn-Loks, die bei einer Privatbahn ihr "zweites Leben" absolvierten. Dazu gehörten auch etliche preußische T10, DR Baureihe 76.0, die bei verschiedenen Privatbahnen unterkamen.
Die T10 war wie die T12 eine typische Konstruktion der Garbe-Ära. Vorgesehen für den Kurzstrecken-Verkehr zwischen den Kopfbahnhöfen Frankfurt(M) und Wiesbaden konnten die insgesamt 12 Maschinen wegen schlechter Laufeigenschaften nie wirklich befriedigen. Zur DR kamen noch 11 Maschinen als 76 001 – 011, die nach dem Krieg alle bei der DB verblieben, jedoch schnellstmöglich abgestoßen wurden.
Eine Lok, die
76 002 ex pr. T10 Mnz 7402, ging an die Ilmetalbahn Gesellschaft in Einbeck, wo sie als Lok 7 eingereiht wurde. Am 26.03.58 steht sie in Einbeck vor dem Lokschuppen und wartet auf den nächsten Einsatz.
Bild 40:
Auch in der Ansicht von hinten kommt die sehr gedrungene Bauweise mit dem von der P8 übernommenen Fahrwerk sehr gut zur Geltung. Ilmebahn
Lok 7 am 26.03.58 in Einbeck.
Bild 41:
Interessant vielleicht auch eine Detailaufnahme vom Triebwerks, in der sehr schön die Hängeeisensteuerung und der eng an den 1. Kuppelradsatz gerückte innere Laufradsatz zu sehen sind.
Bild 42:
Die Osthannoversche Eisenbahn (OHE) übernahm gleich sieben Exemplare der bei der DB ungeliebten Baureihe 76; offenbar waren die Konditionen günstig. Hinter den OHE Nummern 76090 – 76096 verbergen sich die ehem. DR/DB 76 011, 001, 010, 003, 006, 008 und 004 (in dieser Reihenfolge).
Von den OHE-Loks liegen sogar Bilder in Farbe vor, die eindeutig belegen, dass diese einen grünen Anstrich besaßen. Das sieht man sogar auf diesem Bild, das am 15.04.60 bei wahrhaft grausigem Wetter im OHE-Bw Celle entstand. Ich musste schon intensiv die heutigen Möglichkeiten der elektronischen Bildbearbeitung bemühen, um das im Original ziemlich dunkle, farb- und kontrastlose Dia der
76090 in einen ansehnlichen Zustand zu bringen.
Die ex
DR 76 011 gehörte seit 9/48 zur OHE und war dort immerhin noch bis 11/65 im Einsatz.
Bild 43:
Eine weitere OHE 76 in Farbe bekam HS am 13.06.63 in Lüneburg vor die Flinte.
76094, die ehem.
DR 76 006, steht allerdings bereits auf dem Rand, macht aber trotzdem noch einen ganz passablen Eindruck. Die Ausmusterung erfolgte in 8/63.
Bild 44:
Das letzte Bild dieses Teils zeigt eine Baureihe, die hier im HiFo noch nicht so oft (wenn überhaupt) zu sehen war: Und zwar die Baureihe 77.0, ex Pfalzbahn P5.
12 Maschinen lieferte Krauss&Co in München 1908 an die Pfalzbahn. Auch wenn die Lok einen ähnlich gedrungenen Eindruck macht, wie die preußische T10 - im Gegensatz zu dieser werden der P5 excellente Laufeigenschaften nachgesagt – kein Wunder bei Krauss-Helmholz Gestell vorne und einem Drehgestell hinten. Die Loks bewährten sich so gut, dass die bayerische Staatsbahn nochmals einige Loks als Pt3/6 nachbeschaffte. Unter der Regie der KBayStB erfolgte auch der Umbau der ursprünglich als Nassdampf-Maschinen gebauten T5 auf Heißdampf Technik.
Nach dem Krieg verblieben alle 12 Loks bei der DB, die sich aber recht schnell von ihnen trennte und an DEG verkaufte. Drei Loks (77 004, 008 und 012) kamen zur Moselbahn, weitere (welche?) zur Kleinbahn Frankfurt Königstein.
Hinter der
FK 232, die am 28.09.57 vor dem Schuppen in Königstein (Ts) aufgenommen wurde, verbirgt sich auf jeden Fall die ehemalige
77 007.
Bild 45:
Ich denke, der kleine Ausflug in die Welt der Privatbahnen hat gezeigt, dass man hier damals noch zahlreiche ehemalige Staatsbahn-Maschinen finden konnte – wenn man denn wusste, wonach man gucken musste. Aber auch andernorts gab es noch so manche Lok aus den "Siebzigern" zu sehen; davon mehr im nächsten Beitrag.
Bis dahin, einen schönen Tag noch,
Ulrich B.
Hier geht’s weiter zum
nächsten Teil
5-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:06:24:12:21:34.