Auch im zweiten Teil sind die Siebziger nach wie vor nicht die siebziger Jahre sondern die Baureihen 70 bis 79 im DR-Nummernsystem der deutschen Dampflokomotiven.
Was gab es bisher:
Teil 1: BR 70.0 (bayr. Pt 2/3),
BR 70.1 (bad. Ig)
Bevor wir uns weiteren Baureihen zuwenden, möchte ich einen kurzen Blick auf das Nummernsystem von 1925 der Deutschen Reichsbahn werfen. Dieses zeichnete sich durch eine klare Systematik aus, die sich wohltuend von der heute üblichen willkürlichen Nummernvergabe unterscheidet.
Jeder Lokomotiv-Gattung wurde ein Block von jeweils zwanzig 20 Baureihennummern zugeteilt, wobei die jeweils ersten 10 Nummer den von der Reichsbahn neu beschafften Fahrzeugen vorbehalten waren. Innerhalb der so definierten Nummernblöcke war das Ordnungskriterium für die jeweilige Baureihenummer die Achsfolge, wobei es unerheblich war, ob die Laufachsen starr oder beweglich im Rahmen gelagert waren.
Für die Personenzug-Tenderloks aus Altbeständen, also den Bereich von 70 – 79, ergaben sich damit die folgenden Festlegungen:
- Baureihe 70: 1B
- Baureihe 71: 1B1
- Baureihe 72: 2B
- Baureihe 73: 1B2
- Baureihe 74: 1C
- Baureihe 75: 1C1
- Baureihe 76: 2C
- Baureihe 77: 1C2 (nachträglich auch 2C1)
- Baureihe 78: 2C2
- Baureihe 79: CC (nachträglich auch 1D1 u. 2D2)
Die verschiedenen Bauarten bzw. Länderbahnbaureihen innerhalb einer Baureihe wurden i.a. durch neue 100er-Gruppen bei den Betriebsnummern voneinander abgegrenzt.
Nach dem gleichen Prinzip wurden die Nummern auch bei den anderen Gattungen vergeben, wobei sich im Laufe der Zeit natürlich einige Ausnahmen und Ausreißer ergaben.
Loks mit der Achsfolge 1B, also die Baureihe 70, hatten wir schon. Käme als nächstes die Achsfolge 1B1, Baureihe 71, aber die möchte ich erst einmal zurückstellen (gell, Reinhard!). Passen müssen wir bei den Baureihen 72 und 73, die gibt es tatsächlich nicht im sonst so unerschöpflichen Bildarchiv von HS.
Auch die 74.0, preußische T11, kommt leider nicht vor. Die Nassdampf-Maschinen wurden bei der DB sehr früh ausgemustert und auch bei den westdeutschen Privatbahnen war das Interesse an diesen Loks gering.
Weiter geht’s also mit der preußischen T12, Baureihe 74.4. Eine typisch preußische Lokomotive nach den Vorstellungen von Robert Garbe, dem Bauart-Dezernenten der Preußischen Staatsbahn. Das Design war ziemlich rustikal (man könnte auch sagen "pott-hässlich"). Und wenn man den vorderen Überhang betrachtet, kann man sich kaum vorstellen, dass die Lok bei höheren Geschwindigkeiten sicher im Gleis blieb. ABER: Die Maschinen waren in Beschaffung und Unterhaltung billig und erfüllten den ihnen zugedachten Einsatzzweck zuverlässig. Immerhin waren sie bis zur (Gleichstrom-) Elektrifizierung der Berliner S-Bahn DIE Berliner Stadtbahn-Loks schlechthin.
Von der T12 wurden im Zeitraum zwischen 1902 und 1921 insgesamt 1014 Stück beschafft, davon 974 Maschinen für die preußische Staatsbahn und 40 für andere Bahngesellschaften. Nach dem 1. Weltkrieg mussten zahlreiche Maschinen als Reparationsleistung an Belgien, Frankreich und Polen abgegeben werden. Zur DR gelangten zunächst exakt 899 Maschinen, die als 74 401 – 543 und 545 – 1300 eingereiht wurden. Die Nummern 74 1301 – 1355 waren mit T12 anderer Bahnen belegt, die bis 1941 von der DR übernommen wurden.
Bei der Deutschen Bundesbahn verblieben fast 400 Loks, von denen die letzte, 74 1070 vom Bw Düren, am 11.05.66 ausgemustert wurde.
Neben Düren war Hanau eine der letzten Einsatzstellen der Baureihe 74.4 bei der DB. Hier setzen wir unseren Streifzug durch die Siebziger fort mit einer Farbaufnahme der
74 1028. Am "Tag der Arbeit" 1964 darf sie sich ebenso wie die werktätige Bevölkerung mal einen Tag in ihrem Heimat-Bw ausruhen. Daneben steht mit 56 367 eine ebenfalls typische Baureihe für den Frankfurter Raum.
Bild 8:
Bis in die 60er Jahre war Jülich ein wichtiger Eisenbahn-Knotenpunkt im Aachener Revier. Neben dem AW, welches vor allem für das preußische "Tenderlok Gerümpel" zuständig war, gab es natürlich auch ein Bw, in dem zahlreiche 74.4 stationiert waren. Diesem stattete HS am 08.09.59 einen Besuch ab.
Zunächst sehen wir
74 504, eine der letzten Loks der Bauart 1905 mit Rauchkammerüberhitzer.
Die erst im Juni ’59 von der BD Stuttgart nach Jülich versetzte Lok besitzt als einzige der hier gezeigten 74.4 noch kein DB-Logo, vielleicht ein Zeichen dafür, dass sie nicht mehr lange im Betrieb bleiben sollte († 30.09.60).
Bild 9:
Dahinter an der Schuppenwand stand in ganz ähnlicher Position
74 857, die sich im Bereich des Wasserkastens um des Umlauf deutlich von der gerade gezeigten T12 unterscheidet. Diese Lok repräsentiert mit der Bauart 1912 die letzte Bauartvariante der preußischen T12. Die Lok ist mit zwei Luftbehältern vor dem Vorläufer bestückt, wie das nur bei einigen Maschinen (unabhängig von der Bauart) zu finden war.
Da die Lok keine Lampen mehr besitzt, ist sie vermutlich schon z-gestellt. Die Ausmusterung erfolgte nur wenige Wochen nach der Aufnahme am 28.10.59.
Bild 10:
In Jülich wurde die BR 74.4 zu dieser Zeit auch noch kräftig im regulären Zugdienst eingesetzt. Und so konnten am 08.09.59 im Bahnhof Jülich auch noch einige T12-bespannte Reisezüge auf den Film gebannt werden. Wohin genau
74 999 mit ihrem Zug aufbricht, ist leider nicht bekannt. Mit (bei mir leider nicht vorhandener) Ortskenntnis lässt sich das Fahrziel aber vielleicht etwas eingrenzen.
Bild 11:
Zuletzt wurden die 74er 1959 hauptsächlich als Rangierloks eingesetzt. In einem solchen Dienst sehen wir
74 563 am 11.09.59 im Heilbronner Hauptbahnhof.
Bild 12:
Rangierdienst und Überstellfahrten zwischen dem Bahnhof Hamburg Altona und dem Bww Hmb. Langenfelde – das waren auch die Aufgaben der Hamburger 74er. Am 14.05.61 macht sich
74 998 in solchen Diensten nützlich. Die Lok besitzt übrigens keinen Vorwärmer!
Bild 13:
Und noch eine Farbaufnahme von den Hamburger Einsätzen. Die Richtung der Dampf-Fahne verrät den hier zu beobachtenden Betriebsfall:
74 938 leistet einem langen Schnellzug Anfahrhilfe aus dem Bahnhof heraus auf die Brückenrampe in Altona. Wenn die Dampfwolke, die man ganz vorne erkennen kann, von der Zuglok stammt, dann dürfte der Zug die max. zulässige Zuglänge von 14 Wagen ausgereizt haben, was auch die Schub-Unterstützung erklärlich macht. Die Aufnahme entstand am 18.04.60.
Bild 14:
Mit den beiden letzten Aufnahmen weiche ich ausnahmsweise vom selbst verordneten Pfad der Tugend ab, hier keine Schrottloks zu präsentieren. Aber diese ist wirklich etwas Besonderes: Eine 74 mit Stromlinienverkleidung; oder, um genau zu sein, mit den Resten davon. Und zudem handelt es sich um eine eigenständige Unterbaureihe, nämlich eine
74.13
In mehreren Kleinserien beschaffte die private Lübeck Büchener Eisenbahn (LBE) Tenderloks nach dem Vorbild der preußischen T11 und T12. Bei der Verstaatlichung der LBE zum 01.01.38 erhielten die T12 die Nummern 74 1311 – 1321. Davon besaßen die letzten fünf Maschinen, also 1317 – 1321, eine Stromlinienverkleidung, die bereits von der LBE aus allerdings rein optischen Gründen nachträglich angebaut worden war. Zwei dieser Maschinen verschlug es nach dem Krieg ins Ruhrgebiet zum Bw Essen, von wo aus sie auf der Strecke nach Kettwig eingesetzt wurden. Die Stromlinienverkleidung war da bereits weitgehend entfernt, nur das Führerhaus und der Kohlenkasten lassen noch Reste davon erkennen. Nach kurzer Zeit endete dieser Einsatz aber bereits wieder. 74 1320 wurde nach Hamm abgegeben und dort sogleich abgestellt, während 74 1319 beim Bw Recklinghausen abgefahren wurde. Als letzte 74 der BD Essen wurde sie am 06.02.56 z-gestellt und am 20.11.58 ausgemustert.
HS konnte die möglicherweise unfallbeschädigte Maschine (linker Puffer fehlt) noch als Z-Lok am 27.10.57 im Bw Recklinghausen ablichten.
Bild 15:
In der Ansicht von hinten kommt die Stromlinienverkleidung, bzw. der davon noch übrig gebliebenen Rest, besonders gut zur Geltung.
Bild 16:
So, das war’s für heute. Nachdem der ’running gag’ mit Herzkaspern und Härtstropfen schon beim letzten Mal intensiv strapaziert wurde, sind wir gespannt, was Euch dieses Mal als Kommentaren einfällt.
Schönen Tag noch,
Ulrich B.
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3-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:06:24:12:14:18.