„Jan Klein“ – so der volkstümliche Name der meterspurigen Kleinbahn von Emden über Pewsum nach Greetsiel – war mehr als einfach nur ein Beförderungsmittel. 64 Jahre lang gehörte er untrennbar zum Alltag der Marschbewohner. Er brachte die Krummhörner Werft- und Bauarbeiter und die Greetsieler „Granatfrauen“ nach Emden, allmorgendlich füllten die Schulkinder auf dem Weg nach Pewsum oder Emden den Zug mit Leben, und auch die Bauern machten sich die Bahn zunutze, indem sie mit ihr Dünger und Saatgut bezogen oder ihre Ackerbauprodukte und ihr Vieh versandten. Die Bauarbeiter saßen nach Firmen getrennt beisammen und auch die Granatfrauen mit ihren stark riechenden Fischkörben hatten ihre eigenen Bereiche, und niemand störte sich daran, daß zwischen allen Fahrgästen die Schulkinder umhertobten. Hier traf man sich, lernte einander kennen, tauschte Neuigkeiten aus, vertrieb sich gemeinsam die Zeit beim Kartenspiel oder setzte die Nachtruhe fort. Ein Abteil war allerdings für die „normalen“ Fahrgäste und selbst den Schaffner tabu – das „Separée“ für Verliebte.
Die 22,8 km lange Kreisbahn Emden – Pewsum – Greetsiel (EPG) wurde am 27.7.1899 bis Pewsum und am 21.9.1906 bis Greetsiel eröffnet. Weitere Projekte scheiterten am Ausbruch des 1. Weltkriegs, an politischen Kontroversen oder am Geld. Bereits bei der Planung stand für den Kreis fest, daß die Hauptbedeutung weniger im Güter- als vielmehr im Personenverkehr liegen würde. Während der Güterverkehr zuletzt weitgehend auf die Straße abgewandert war, zählte „Jan Klein“ noch immer eine halbe Million Fahrgäste pro Jahr. Als kreiseigener Regiebetrieb beschäftigte die EPG anfangs vorwiegend Kommunalbeamte, so daß sie später aufgrund der hohen Personalkosten und Pensionsverpflichtungen sowie des Umstands, daß die meisten Fahrgäste nicht kostendeckende Sozialtarife beanspruchten, immer tiefer in die roten Zahlen fuhr. 1962 hatte der jährliche Zuschußbedarf ein für den Kreis unwägbares Niveau erreicht. Mit der Stillegung von „Jan Klein“ am 25.5.1963 verschwand nicht nur ein „guter alter Freund“, sondern auch manches Kuriosum sowie die Urtümlichkeit der Krummhörner Kreisbahn.
24.11.1854: Eröffnung der Hannoverschen Westbahn zwischen Emden und Papenburg
15.6.1883: Eröffnung der Küstenbahn Emden – Norden – Landesgrenze bei Jever
1889: Projekt einer Bahn von Emden über Pewsum zum Anschluß an die Küstenbahn zwischen Georgsheil und Norden
10.3.1895: Antrag der Gemeinde Pewsum zum Bau einer Kleinbahn Emden – Pewsum
28.8.1895: Begehung des vorgesehenen Trassenverlaufs Emden – Pewsum
29.4.1897: Beschluß des Kreistags zum Bau und Betrieb auf Kreiskosten
1.2.1898: Bau- und Betriebsgenehmigung durch den Auricher Regierungspräsidenten
24.9.1898: Beginn der Erdarbeiten
26.7.1899: Offizielle Abnahme
27.7.1899: Feierliche Eröffnung Emden – Pewsum, Betriebsführung durch Landrat des Kreises Emden
3.3.1900: Antrag der Gemeinde Manslagt zur Verlängerung der Kleinbahn bis Greetsiel
30.3.1903: Beschluß des Kreistags zur Beantragung einer Fortsetzung von Pewsum über Groothusen und Manslagt nach Eilsum
31.8.1904: Genehmigung des Kreistags zum Bahnbau Pewsum – Groothusen – Greetsiel
31.10.1904: Freigabe des Projekts durch den Minister für öffentliche Arbeiten
29.6.1905: Genehmigung des Regierungspräsidenten zum Bau und Betrieb der Verlängerung bis Greetsiel
Oktober 1905: Baubeginn
20.9.1906: Offizielle Abnahme
21.9.1906: Eröffnung Pewsum – Greetsiel
1932: Übernahme der Betriebsführung durch den Landrat des Kreises Norden
1.4.1934: Übernahme der Betriebsführung durch das Landeskleinbahnamt der Provinz Hannover
18.5.1934: Indienststellung des ersten Triebwagens
1937: Eröffnung des neuen Emder Hauptbahnhofs, Umbenennung des EPG-Bahnhofs Emden-Larrelt in Emden Klbhf.
1942: Verhandlungen mit der Reichsbahn wegen Umspurung und Übernahme
6.9.1944: Zerstörung des Emder Kleinbahnhofs durch Bombenangriff, der Kleinbahnverkehr endet vorübergehend am provisorischen Haltepunkt Albringswehr
1949: Bezug des eingeschossig wiederhergestellten Emder Empfangs- und Verwaltungsgebäudes
Oktober 1956: Abstellung der letzten Dampflok
15.2.1957: Indienststellung einer Diesellok
1.10.1959: Übernahme der Betriebsführung durch die Bentheimer Eisenbahn
28.12.1962: Beschluß des Kreistags zur Einstellung des Schienenverkehrs zum folgenden Fahrplanwechsel
25.5.1963: Einstellung des Gesamtverkehrs, Übertragung des Personenverkehrs auf die Bundespost
Ende 1963: Beendigung der Abbrucharbeiten
Bild 1: Gruppenaufnahme der ersten Betriebsmannschaft um 1900 hinter dem Kleinbahnhof Emden-Larrelt, links der Giebel des zweiständigen Lokschuppens. Im Parterre befanden sich die Diensträume und eine Gaststube, darüber wohnten der Bahnverwalter und der Wirt und im Dachgeschoß befanden sich Wohnungen für einen Lokführer und einen Bahnhofsarbeiter.
Bild 2: Anfang der 30er Jahre erweiterte die Kreisbahn ihr Emder Empfangs- und Verwaltungsgebäude beträchtlich, wobei der Anbau in Gestaltung und Größe etwa dem Altbau entsprach, jedoch in Klinkerbauweise ausgeführt wurde.
Bild 3: Beim Luftangriff vom 6.9.1944 brannte das Empfangsgebäude aus. Lediglich die Erdgeschoßwände ließ man stehen und setzte ein Satteldach darauf, doch alles andere riß man ab. Weil auch die Gleisanlagen schwer beschädigt waren, endeten die Züge aus Greetsiel bereits am Albringswehr, wo ein provisorischer Haltepunkt bestand. In einfachen Baracken führte man den Betrieb so gut es ging weiter; links die Fahrkartenausgabe, in der Mitte die Betriebsleitung, rechts im Lokschuppen die Güterabfertigung. Der große Speicher, das heutige Hotel „Am Kleinbahnhof“, war von den Luftangriffen weitgehend verschont geblieben.
Bild 4: Blick vom Wasserturm über den Hauptbahnhof hinweg auf die Kleinbahnanlagen mit den beiden Lokschuppen und dem großen Speicher um 1960.
Bild 5: Hanomag-Werkbild der 1899 gebauten Lok 2 „Krummhörn“, die nur 21 Jahre alt wurde.
Bild 6: Werkfoto der Lok „Pilsum“, der schmalspurigen Variante der bereits 1906 von der Hanomag gebauten normalspurigen Heißdampf-T3 „6301 Hannover“ der KPEV.
Bild 7: Hanomag-Werkbild der 1920 ausgelieferten Lok „Greetsiel“, die mit nur 7 t Achsdruck zu den leichtesten vierfach gekuppelten Meterspurlokomotiven Deutschlands zählte. Sie galt nicht nur als formschön, sondern war auch leistungsfähig, unkompliziert und beim Personal überaus beliebt. Erst 1957, als es auf der Kreisbahn keine langen Güterzüge mehr gab, wurde sie verschrottet.
Bild 8: Die elegante AEG-Heißdampflok „Emden“ mit Vorlaufachse und 40 km/h Höchstgeschwindigkeit war für die schweren Arbeiterzüge prädestiniert. Sie erfuhr nur geringfügige Umbauten oder Ergänzungen, wie z.B. die große Glocke vor dem Schornstein. Am Nachmittag des 12.8.1952 setzte sie sich in Emden vor den Güterzug.
Bild 9: Mit dem ersten Zug des Tages trafen gegen 6.40 Uhr aus der Krummhörn zahlreiche Werft- und Bauarbeiter am Emder Kleinbahnhof ein, wie hier mit der Lok 6 „Emden“ etwa Anfang der 50er Jahre. Zu Fuß oder mit dem bereitstehenden Fahrrad gelangten sie zu ihren Arbeitsplätzen, und mancher Werftarbeiter wünschte sich, die Straßenbahn würde schon am Kleinbahnhof beginnen und ihn direkt zum Außenhafen bringen.
Bild 10: Der längste Zug verkehrte am Samstagmittag ab Emden und führte einen Großteil des Wagenparks mit, wie hier im August 1950 vor Greetsiel. Vorn zog die „Pilsum“, hinten drückte der T 1. Neben einem Packwagen und zwei zur Personenbeförderung umgebauten Güterwagen waren bis zu acht Personenwagen eingestellt.
Bild 11: Kleinbahnidylle pur! Die Lok 5 „Pilsum“ mit den Personenwagen 7, 6 und 3 sowie dem Güterwagen 20 auf dem Weg nach Emden im August 1950 bei Greetsiel.
Bild 12: Vor allem während der herbstlichen Erntezeit gab es an der Emder Rollbockgrube viel zu tun, wie hier mit der zweiten Lok 3 „Greetsiel“ etwa Ende der 40er Jahre.
Bild 13: Kurz vor Kriegsbeginn herrschte noch gute Stimmung beim Personal, hier (v.l.n.r.) mit Alerich Ukena, unbekannt, Harm Mayeraan und Hermann Gersema.
Bild 14: Ende April 1953 stand der T 61 vor dem Emder Lokschuppen. Vor allem in verkehrsschwachen Zeiten leistete er wertvolle Dienste.
Bild 15: Rangierszene im Winter 1955/56. Mit einer Kette zog der T 54 (noch in alter Bauform) an der Emder Rollbockgrube die Staatsbahnwagen auf die Rollschemel der Kreisbahn.
Bild 16: Die Indienststellung der Diesellok V 30 am 15.2.1957 bedeutete das Ende der Dampflokzeit. Auf der geschmückten Lok haben sich versammelt (v.l.n.r.): Diedrich Gersema – (unbekannt) – (unbekannt) – Jan Ukena – Karl Martens – Laudien.
Bild 17: Abschiedsstimmung im April 1963 im Greetsieler Bahnhof, der zuletzt einen ungepflegten Eindruck machte. Der T 54 fährt gleich nach Emden zurück.
Bild 18: Kurzer Zwischenhalt im April 1963 in Manslagt. Die Generalrevision, die der T 54 noch 1960 erhalten hatte, lohnte sich nicht mehr, denn schon drei Jahre später kam das Ende für „Jan Klein“.
Bild 19: Mit dem Güterzug stand die Lok V 30 am Morgen des 20.4.1963 in Greetsiel bereit. Neben dem gedeckten Güterwagen 1573 und dem Zwischenwagen 1591 lief der Personenwagen 501 mit, der ab Pewsum gern von Schulkindern auf der Heimweg genutzt wurde.
Bild 20: ... und wenig später hinter Pewsum.
Bild 21: Die motorlose Seite des T 55, der 1959 von den Mindener Kreisbahnen (zuvor Köln-Bonner Eisenbahn) nach Emden kam und hier bis zum letzten Tag im Personenverkehr wertvolle Dienste leistete.
Bild 22: Der Beiwagen 563 war ursprünglich ein an die Rendsburger Kreisbahn gelieferter Benzoltriebwagen (AEG 1925, siehe [drehscheibe-online.ist-im-web.de]. 1957 kam er zur EPG, die seinen Motor ausbaute und das Kühlergitter mit Blech verkleidete.
Bild 23: Mit dem T 1 (später T 61) begann 1934 die Motorisierung des Personenverkehrs der EPG. Heute ist der Triebwagen das einzige noch existierende Triebfahrzeug der Kreisbahn. Hier mit dem VB 563 in Emden West (12.8.1961).
Bild 24: Eigentlich war Peter Boehm am 15.5.1953 nach Emden gereist, um noch die Straßenbahn zu erleben, doch mußte er feststellen, daß diese schon zwei Wochen zuvor eingestellt worden war. Immerhin konnte er den DWK-Triebwagen T 60 (noch ohne drittem Scheinwerfer) beim Rangieren im Kreisbahnhof beobachten. Der Triebwagen lief bis 1950 bei den Mindener Kreisbahnen und bis 1934 bei der Geldernschen Kreisbahn.
Bild 25: Die Entgleisung beim Buschhaus vor Emden bedeutete am 8.1.1959 das Aus für den T 60.
Bild 26-27: Der von der Flensburger Kreisbahn stammende T 54 in Pewsum nach dem aufwendigen Umbau. Äußerlich fielen nun die gummi-eingefaßten Führerstandsfenster auf.
Bild 28: Der T 54 in Canum, wo zuletzt ein gemauerter Unterstand mit offenem bahnseitigen Eingang genügte.
Bild 29: Im Vergleich zum schweren Wasserkran der Bundesbahn wirkte die Kleinbahnausführung recht zierlich (1953).
Bild 30: Eine Wettfahrt mit der Küstenbahn war für die mit „Jan Klein“ fahrende Schuljugend immer wieder spannend. Hier versucht eine preußische P 8 auf dem Weg nach Norden, den Kleinbahnzug zu überholen (April 1963).
Bild 31: An der Groothuser Mühle am 21.6.1961. Der T 54 brummt mit einem Flachwagen, einem G-Wagen und dem Zwischenwagen 1591 nach Emden vorbei.
Bild 32: Der Greetsieler Hafen vor 45 Jahren.
Die Fotos stammen u.a. aus den Archiven von W. Stock, S. Overbosch, G. Wolff, D. Luckmann, F.O. Hempel und H.G. Hesselink. Mehr über die EPG im Buch „Die Kreisbahn Emden-Pewsum-Greetsiel“ von Hinrich Rudolfsen (siehe [www.verlag-kenning.de]
Mein Inhaltsverzeichnis: [drehscheibe-online.ist-im-web.de]