Die Überlandstraßenbahn Esslingen-Nellingen-Denkendorf war bereits einige Male im Hist- bzw. Strab-Forum vertreten, z.B.
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wernerhardmeier, 5.10.2007 (Tw 2 Esslingen Bf)
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Rüdiger Frey, 27.02.2007
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Linie 8 muss wieder her, 24.12.2006
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werner, 1.3.2005
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Interregio,5.12.2004 Übersicht der heute noch sichtbaren END-Relikte
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tram, 21.01.2005 (SMS in der END Halle)
Der 30. Stillegungstages soll nun der Anlass für einen etwas ausführlicheren Beitrag sein.
Zunächst eine
Streckenskizze mit den Haltestellen und den Ausweichen ergänzt durch die Entfernungen und die (ungefähren) Höhenangaben.
Der Stand entspricht den letzten Betriebsjahren.
Quellen: Topografische Karten 1:25000 Landesvermessungsamt Baden-Württemberg Ausgabe 1971 bzw. 1972
Eigene Aufzeichnungen
Aus den
Höhenangaben wird deutlich, dass die END eine richtige Berg- und Talbahn war. Zunächst wurden beim Aufstieg vom Neckartal auf die Filderhöhe rund 140 Meter überwunden mit einer Steigung (zwischen Weilstr. und Zollberg) von 7%.
Auf der Denkendorfer Strecke ging es hinter Nellingen zunächst durch eine Senke und dann vom Ortseingang zur Endhaltestelle wieder mit starkem Gefälle „nach unten“. Trotzdem lag die Haltestelle immer noch etwa 45 Meter höher als das Ortszentrum (Rathaus).
Die Neuhausener Strecke durchquerte bei Scharnhausen das Körschtal, d.h. zuerst ging’s rund 50 Meter runter und dann wieder rauf. Die Endhaltestelle in Neuhausen war dann wieder 30 Meter tiefer.
Hier ein paar Angaben zur
Geschichte:
Bereits 1885 hatte Emil Keßler (von der Maschinenfabrik Esslingen) Pläne für eine Eisenbahn von Esslingen nach Neuhausen vorgelegt. Die Industrialisierung im Neckartal verstärkte die Nachfrage nach Verkehrsverbindungen mit den umliegenden Dörfern. Trotzdem dauerte es noch 40 Jahre bis es zu einer Schienenverbindung kommen sollte:
18.12.1926 Eröffnung Esslingen – Nellingen - Denkendorf
21.09.1928 Eröffnung Nellingen – Scharnhausen – Neuhausen
Recht amüsant liest sich die Geschichte über die Entstehung der markanten blau-grünen Farbe:
Da sich die Fahrzeuge von der Esslinger und der Stuttgarter Straßenbahn abheben sollten, musste es eine besondere Farbegebung sein. „ Auch das künstlerischer Moment wollte man nicht aus den Augen lassen ...“.
Allerdings konnte man sich nicht einigen. Nach längeren Beratungen entschied sich dann ein Kommission für einen Farbton, der von der Hauptwerkstatt der SSB gemischt wurde. Da dieser Farbton nicht im Handel war, musste er bei jeder Neulackierung extra hergestellt werden [1].
In den 50er Jahren gab es 2 Streckenänderungen:
In Esslingen wurde die Schleife durch die Stadt aufgegeben und durch eine Wendeschleife am Bahnhof ersetzt. In Neuhausen wurde die Abschnitt zwischen der Ausweiche (Neuhausen Brücke) bis zur Ecke Esslinger / Bahnhofstraße nicht mehr befahren [3].
Die Streckenlänge verkürzte sich damit von 11,6 auf 11,3 km.
Außerdem konnte 1959 das 2. Gleis über die Pliensaubrücke in Betrieb genommen werden.
Von dem im Fünfjahresplan (1960-1964) vorgesehenen 2-gleisigen Ausbau der gesamten Strecke Esslingen – Nellingen wurde nur noch der Abschnitt Zollberg – Mutzenreisstraße verwirklicht.
Bereits ab 1.10.1955 begann die END mit einem eigenen Busverkehr, der einerseits die neu entstandenen Wohnsiedlungen mit der Straßenbahn verband, zum anderen aber auch neue Verbindungen zwischen den Fildergemeinden und der Kreisstadt Esslingen herstellte.
Obwohl es immer wieder neue Projekte und Vorschläge gab, die letztlich alle an der Kostenfrage scheiterten, wurde zum 28. Febr. 1978 der Straßenbahnbetrieb eingestellt. Als Ersatz richteten die Städtischen Verkehrsbetrieben Esslingen (SVE) 2 Buslinien ein. Die bisherigen Buslinien der END gingen an die Stuttgarter Straßenbahnen (SSB). Die END war nur noch Verwaltungsgesellschaft.
Leider konnte auch das Projekt einer Museumsstraßenbahn auf der Teilstrecke Nellingen – Neuhausen nicht verwirklicht werden.
Ganz kurz zum
Fahrzeugpark:
Tw 1 – 9 wurden 1926-1929 von der Maschinenfabrik Esslingen geliefert
Tw 10 folgte 1942 und schließlich
Tw 11 1955 (aus Kostengründen nach den alten Plänen)
Die zugehörigen Beiwagen: Bw 21 – 36 (1926-1949)
1958 kamen dann die beiden von der ME neu konstruierten
Tw 12 – 13, sowie die Bw 36 – 37
Tw 5 wurde1964 – 1966 in Nellingen total umgebaut und erhielt einen neuen Wagenkasten
Tw 20(I) „Königswagen“ kam 1933 von den SSB, 1965 zurück an SSB
Tw 20(II) kam 1965 von den SSB (ex 297, Bj 1950), war bei der END als Arbeits-, Rangierwagen im Einsatz [1]
Vor 1978 wurden folgende Fahrzeuge ausgemustert:
Tw 1 (+1969) und Tw 7 (+1974)
Bw 24, 27, 32, 33, 34
Über den Verbleib der Triebwagen findet man in [4] folgende Angaben:
Tw 2, Tw 4 Straßenbahnmuseum (SHB) Zuffenhausen -> Cannstatt
Tw 3 Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim
Tw 8 Deutsches Straßenbahnmuseum, Hannover
Tw 12, Tw 13 Rittnerbahn, Bozen
Quellen:
[1] 50 Jahre Straßenbahn Esslingen – Nellingen – Denkendorf 1926-1956, Text v. Gottfried Bauer
Stuttgarter Straßenbahnen AG 1976
[2] Deutsche Straßen- und Stadtbahnen Bd.3 v. Dieter Höltge
Verlag Wolfgang Zeunert 1979
[3] Straßenbahnen um Stuttgart v. G. Bauer / U. Theurer / C. Jeanmaire
Verlag Eisenbahn 1984
[4] Straßenbahnen in Stuttgart v. Gottfried Bauer
GeraMond Verlag 2003
[5] Die Überlandstraßenbahn Esslingen - ... v. Johann Leinfelder
in Der Stadtverkehr 11/12-1969
[6] 70 Jahre Esslingen – Nellingen – Denkendorf, Text v. J. Kirschner und B. Tissies
in Über Berg und Tal 2/97
[7] Ende einer Epoche – Die endgültige Einstellung der END, v. Martin Pabst
in Straßenbahn-Magazin 27/1978, Nachdruck in SM 12/2004
Fahrplan (in den letzten Betriebsjahren):
Tagsüber wurde zwischen Esslingen und Nellingen im 12-Minuten-Takt gefahren. Auf den beiden Flügellinien ergab sich damit ein 24-Minuten-Takt.
In den Hauptverkehrszeiten erfolgten zusätzliche Pendelfahrten bis Zollberg (notiert habe ich: Esslingen ab 16.09 – alle 24 Min ), die über die dortige Gleisverbindung wendeten (s. Bild) und nicht im Fahrplan aufgeführt waren, da sie zeitgleich mit den Neuhausener Zügen verkehrten. Die Fahrzeit zwischen Weilstraße und Zollberg betrug 6 Minuten, deshalb war die kürzeste Taktzeit 12 Min. Verstärkungszüge habe ich auch im Schülerverkehr zwischen Nellingen und Neuhausen gesehen. (Noch umfangreicher waren wohl die Zusatzfahrten im morgendlichen Berufs- und Schülerverkehr.)
Nur in den Hauptverkehrszeiten wurde mit Beiwagen gefahren. Die Zustellung der Beiwagen am Nachmittag erfolgte in Nellingen ab 15.24 Uhr.
In den verkehrsschwachen Zeiten sowie am Wochenende gab es einen 24-/48-Minuten-Takt bzw. 30-/60-Minuten-Takt. Zum Teil (z.B. bei Taktumstellungen) verkehrten Pendelzüge Nellingen – Denkendorf, so dass in Nellingen umgestiegen werden musste.
Am Sonntagvormittag ging’s auf der Neuhausener Linie bei 30 Min. Fahrzeit im Stundentakt ohne Pause hin und her. Außerdem wurde am Sonntagmorgen bei der ersten Fahrt von Neuhausen in Richtung Esslingen in Nellingen erst noch ein Abstecher nach Denkendorf gemacht.
Ich weiß nicht, ob Fahrgäste aus Neuhausen in Nellingen aussteigen und warten mussten oder ob sie den zusätzlichen „Ausflug“ ohne Aufpreis mitmachen durften.
;-)) (Abends bei der letzten Fahrt am Sonntag entsprechend umgekehrt.)
Falls es jemand noch genauer wissen will, hier sind die Abfahrtszeiten auch von den Haltestellen, die nicht im Fahrplan aufgeführt sind. (Ich habe sie mir damals von den Aushangfahrplänen abgeschrieben – außer bei der Hst Hagenäcker; dort habe ich in den letzten Jahren nie eine Fahrplan gesehen.) An den blauen Haltestellen begegneten sich die Bahnen.
So, nach dieser langen Vorrede nun zu den Bildern!
Sie sind (weitgehend) geografisch geordnet, d.h. es geht quer durch die Jahres- und Tageszeiten.
Beginnen wir unsere Fahrt in
Esslingen am Bahnhof:
Bild 1: Zur Übersicht ein Blick auf den Bahnhofsvorplatz mit der Wendeschleife, wo gerade Tw 11 + Bw 26(?) die Runde dreht.
Bild 2: Im Hintergrund erkennt man einen END-Bus (Büssing Präsident 14) der Linie "Ru" nach Heumaden. Auch die Busse trugen die markante Farbgebung.
Bild 3: Natürlich darf auch der O-Bus nicht fehlen. Dieser Henschel-Bus war bis 1983 im Einsatz. Genaueres siehe hier
Bild 4: Direkt vor dem Bahnhof war die Ankunfs-Haltestelle (Tw 11).
Bild 5: Um 18.20 Uhr, als dieses Bild entstand, wurde noch mit SchaffnerIn gefahren ...
Bild 6: ... während am Abend beim Fahrer eingestiegen und die Fahrkarte gekauft werden mußte.
Bild 7: In der Morgensonne glänzt das Kopfsteinpflaster (Tw 8)
Bild 8: Bereits auf der Rampe zur Pliensaubrücke begann der 2-gleisige Abschnitt.
Im Hintergrund erkennt man die bekannten Esslinger Weinberge ...
Schließlich ist in Esslingen die älteste Sektkellerei Deutschlands zu Hause (Kessler Sekt).
Bild 9: Die Pliensaubrücke überquert die Bahnstrecke Stuttgart - Ulm, den Neckar und die 4-spurige B10. Direkt über der Bahnstrecke lag die erste Haltestelle "Pliensauturm".
Bild 10: ... aus einer anderen Perspektive (Tw 13)
Bild 11: Tw 12 kommt von Denkendorf. Vor dem Haus in der Bildmitte endet der 2-gleisige Abschnitt; die Strecke macht einen Knick nach links und es beginnt der Anstieg auf die Filderhöhe.
Bild 12: Noch einmal ein Blick auf die Pliensaubrücke. Dieses Mal mit der Abschiedsfahrt am 25.2.1978.
Vorne Tw 3 + Bw 26 + Bw 23, dahinter Tw 4. Im Hintergrund die neuen 420-er: 1978 begann in Stuttgart das S-Bahn-Zeitalter.
Bild 13: Bei der 2. Kehre auf der Zollbergstraße begegnet uns Tw 10 auf der Fahrt nach Denkendorf.
Links erkennt man die Esslinger Burg (1314 erstmals erwähnt) und davor die Stadtkirche St. Dionys (Baubeginn 1220).
Bilder 14-15 zeigen die Zollbergstraße.
Es war viel Geduld nötig, um die Straße autofrei aufnehmen zu können. Heute würden die Autos wahrscheinlich nicht mehr so sehr stören, da sie inzwischen auch Oldtimer geworden sind. Vor 30 Jahren war aber das Nebeneinander von (fast) 50 Jahre alten Bahnen und modernen Autos nicht so erwünscht ...
(Man beachte übrigens bei Tw 11 noch die alte Schreibweise Eßlingen).
Bilder 16-17: ... auch im Winter war dies ein markantes Motiv.
Dem man nicht unbedingt ansieht, daß man sich in unmittelbarer Nähe zur Großstadt befand.
Bild 18: Kurz vor der Haltestelle "Zollberg" ergibt sich dieser schöne Ausblick auf den gegenüberliegenden Hang.
Bild 19: In der Haltestelle "Zollberg" begegnen sich Tw 12 (->Esslingen) und Tw 13 (->Denkendorf). Die Haltestelle war großzügig ausgebaut und besaß sogar eine Unterführung.
Bild 20: Kurz vor der Haltestelle "Zollberg" kommt der Tw 11 durch den Schnee "gespritzt" ...
Bild 21: Hier sehen wir, wie die Verstärkungszüge am Zollberg gewendet haben.
Bild 22: Bei der Haltestelle "Mutzenreisstraße" begegnen sich Tw 2 nach Neuhausen und Tw 12 nach Esslingen.
Bild 23: Noch eine Begegnung in der Haltestelle "Mutzenreisstraße", diesmal sind es Tw 3 nach Neuhausen und Tw 11 nach Esslingen. (Der Kontrast zwischen Fahrzeugen aus den 20-er und Gebäuden aus den 70-er Jahren spricht für sich ...)
Man sieht auch den Vorteil der längeren 2-gleisigen Abschnitte: Planmäßig hätten die Bahnen sich am Zollberg begegnen müssen.
Bild 24 zeigt die Haltestelle von einer etwas fotogeneren Seite.
Bild 25: Hinter der Haltestelle "Mutzenreisstraße" begann wieder der 1-gleisige Abschnitt. Kurz danach wurde an der Haltestelle "Linde" (im Bild etwa bei dem gelben Schild) die höchste Stelle der Strecke erreicht (370 Meter) und die Gemarkungsgrenze Esslingen - Nellingen überquert.
Zum Abschluß des ersten Teils begeben wir uns zurück ins Tal nach Esslingen ...
... dabei kommen wir noch einmal an dem hübschen Motiv an der Zollbergstraße vorbei und treffen dort Tw 3 im letzten Sonnenlicht auf der Fahrt zum Zollberg (Bild 26) ...
... schließlich beenden wir unseren Ausflug am Pliensauturm (Bild 27).
Ich hoffe, es war abwechslungsreich genug. Wenn ja, dann geht's in etwa 1 Woche weiter mit dem 2. Teil.
Der führt uns dann - ohne lange Vorrede - nach Nellingen und auf die Denkendorfer Strecke.
Gruß
Andreas
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Winter-Bilderbogen, 1976-1978 (mit 6 Bildern) - Februar 2008
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Teil 2 (Nellingen - Denkendorf) 1977-1978 (mit 35 Bildern) - Februar 2008
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Teil 3 (Nellingen - Neuhausen) 1976-1978 (mit 30 Bildern) - Februar 2008
Edit: Bilder von HP nach ImageShack transferiert
3.12.2014: Bilder wieder sichtbar gemacht
7-mal bearbeitet. Zuletzt am 2014:12:04:07:30:23.