Der Hauptgrund für unseren Besuch in Sarajevo im Jahre 1966 war die absehbare Stilllegung der schmalspurigen (760 mm) Narentabahn über den Ivan-Pass wegen der bevorstehenden Eröffnung der normalspurigen Neubaustrecke nach Ploče. Zur Orientierung hier zunächst wieder eine Karte aus dem Koch/Opitz von 1926:
Exkurs: Die laut Kursbuch 22 km lange Schmalspur-Verbindung Metković – Ploče wurde erst 1942 während der italienischen Besatzungszeit fertiggestellt. (Der Binnenhafen Metković an der Narenta [Neretva] war nur für Schiffe mit maximal 5 m Tiefgang geeignet und somit wenig leistungsfähig. Der Ausbau des Adriahafens Ploče - zeitweise zum Gedenken an den 1934 ermordeten König auch Aleksandrovo genannt – und der Bau der Eisenbahnlinie waren bereits 1937 begonnen worden.)
Auf der Karte ist noch der Bahnhof Ivan eingezeichnet, der nach dem Bau des neuen, tiefer gelegenen Scheiteltunnes und der damit zusammenhängenden Streckenverlegungen nicht mehr angefahren wurde. Durch eben diese „Neubau-Strecke“ und durch zusätzliche Schleifen bei Raštelica sowie zwischen Pazarić und Tarčin verkürzte sich ab 1935 der Zahnradbetrieb von ursprünglich 18,8 auf 8 km zwischen Podorašac und Bradina.
Eine erste Stippvisite an der Zahnradstrecke zwischen Brdani pod Ivanom und Bradina unternahmen wir am 08.08.1966. Als wir auf den B (= Brzi Voz = Schnellzug) 6 Sarajevo Novo (ab 8:24 Uhr) – Dubrovnik (an 18:25 Uhr) warteten, kämpfte sich zunächst noch ein Güterzug die Steigung hinauf. Leider erwischte ich nur noch die Schiebelok 97-025:
Zwischen Konjic und Bradina kamen auschließlich die C2’zzst-n4 Zahnradlokomotiven mit 2-achsigem Stütztender zum Einsatz. Floridsdorf lieferte zwischen 1894 und 1919 insgesamt 38 Loks dieser Bauart an die BHStB, BHLB und SHS, wo sie als 701 – 738 eingereiht wurden. Bei den JDZ erhielten sie dann die Nummern 97-001 bis 97-038. (Die Fabriknummern können auf der hochinteressanten
Pospichal-Website nachgelesen werden.)
Der B 6 hatte wohl die Kreuzung mit dem Güterzug in Bradina abgewartet, denn bald darauf war das typische Geräusch arbeitender Gegendruckbremsen zu vernehmen, als der Schnellzug nach Dubrovnik mit vier Maschinen zu Tal rollte:
Vorne kamen 97-031 und 028 Stütztender an Stütztender gekuppelt zum Einsatz, während 97-019 und 006 den Zugschluss bildeten. (Die
97-019 steht heute in Freilassing.) Dank ihrer niedrigen und nach hinten stark abfallenden Feuerbüchsdecke konnten die Loks die 60 ‰-Rampe also auch bergab mit dem Schornstein voraus befahren. Auf den Fotos sind die zusätzlichen Wasserstandanzeiger am Langkessel anhand der glänzenden Messinggehäuse gut zu erkennen.
Am 10.08.1966 fuhren wir mit der Bahn nach Konjic und von dort mit dem Zug 31 Konjic (ab 12:47 Uhr) – Bradina zurück nach Brdani pod Ivanom. Die HiFo-Tonspezialisten Martin Welzel & Sohn waren so freundlich, die damals bei der Bergfahrt entstandene und schon sehr in die Jahre gekommene
Tonkonserve über das Internet zugänglich zu machen. Für die Bemühungen des Vater-Sohn-Teams möchte ich mich auch an dieser Stelle nochmals ganz herzlich bedanken!
Die 97-032 musste bereits nach 9 km in Brdani pod Ivanom wieder Wasser fassen:
Dasselbe galt natürlich auch für die Schiebelok 97-027, die wir hier bereits auf der Brücke über die Luka-Schlucht sehen:
Als wir die Abdeckung der Brücke näher in Augenschein nahmen, hatte wir doch zunächst Zweifel, ob es eine gute Idee wäre, auf die andere Seite zu gehen, denn die Bretter waren offensichtlich in Erwartung der baldigen Stilllegung schon lange nicht mehr erneuert worden und schmurgelten stellenweise langsam vor sich hin. Offenbar im Blockabstand folgte aber bereits der nächste Güterzug mit 97-013 und 97-019, den ich wegen unseres Zögerns nun auch noch von der Talseite aus aufnehmen musste:
Eingedenk des guten britischen Mottos „Everything for a good picture!“ („Alles für ein gutes Bild!“) wagten wir dann doch die Talüberquerung und wurden durch einen weiteren bergwärts fahrenden Güterzug belohnt:
Zuglok war die 97-014, während die 97-038 nachschob:
Auf dem Rückweg zum Bahnhof Brdani pod Ivanom entstand noch diese Aufnahme eines zu Tal rollenden Güterzugs mit 97-013 und 032:
Für unseren Besuch am Ivan-Pass war es tatsächlich „höchste Eisenbahn“ gewesen: Am 5. November 1966 erreichte der letzte durchgehende Zug auf der Narentabahn Sarajevo, am 26. November 1966 verkehrte der Eröffnungszug auf der normalspurigen Neubaustrecke.
PS. Bei Horn heißt es im Zusammenhang mit der Strecke über den Ivan auf Seite 67: „Hier beweist die JŽ großes historisches Interesse, da sie die wahrscheinlich einmalige Zahnradstrecke und ihren Betrieb auf einem abendfüllenden Film für die Nachwelt dokumentiert.“ – Kennt jemand den Film und kann über seinen Verbleib berichten?
Literatur:
W. Koch, C. Opitz: Eisenbahn- und Verkehrs-Atlas von Europa, Leipzig 1926
Reimar Holzinger: Sarajewo – Ploče – eine neue Gebirgsbahn in Jugoslawien, in: Eisenbahn 2/1967, S. 21 – 25
Herbert Stemmler: Von Sarajevo nach Ploče, in: Jahrbuch für Eisenbahngeschichte 10, Hrsg.: DGEG Karlsruhe, Augsburg (Rösler + Zimmer) 1978, S. 115 – 128
Alfred Horn: Die Bahnen in Bosnien und der Herzegowina, Eisenbahn Sonderheft, Wien (Ployer) 1964
Neu erschienen und noch nicht gelesen:
Keith Chester: The Narrow Gauge Railways of Bosnia-Hercegovina, Malmö (
Stenvall) 2006
Video:
Herbert Stemmler: Schmalspurdampf in Bosniens Gebirge, Freiburg (Rio Grande) XXXX
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