Dienstag, 29. März 1988.
Eine halbe Ewigkeit her und gefühlt doch so, als sei es gestern gewesen. Seit acht Tagen war ich volljährig und steckte trotz übler Wetteraussichten voller Tatendrang. Schon damals waren die Uerdinger Schienenbusse meine große Leidenschaft. Leider habe ich die Zeiten, als VT 95 und VT 98 beim Bw Krefeld noch vor sich hin brummten, verpasst. Die knatternden Uerdinger waren für mich das Idealbild einer perfekten Nebenbahnidylle. Meine ersten Begegnungen hatte ich als kleiner Junge bei Familienausflügen an die Mosel und auf den Strecke rund um Menden (Sauerland), und sie begegneten mir im Urlaub im Schwarzwald oder Bayerischen Wald. Aber das war alles weit weg für einen Teenager mit schmalem Budget.
Viel näher lagen da für mich die Schienenbuseinsätze vom Bw Siegen. Zum Jahresbeginn 1988 waren in Siegen immerhin zehn 798 (630, 631, 632, 633, 634, 642, 644, 701, 702 und 749) sowie elf VS (998 627, 638, 677, 701, 702, 769, 770, 796, 816, 914, 919) beheimatet, von denen werktags außer samstags acht VT+VS-Einheiten im Einsatz standen – vor allem auf der Hellertalbahn und der Daadetalbahn, aber auch nach Niederwalgern, Erndtebrück und Bad Berleburg. Den Umlaufplan gab es damals im Lok-Report 11/1987, und von den beiden von Betzdorf ausgehenden Strecken hatte ich bereits gehört, dass es manche nette Motive geben sollte. Also ging es an die Tourenplanung.
In den Osterferien 1988 war die Familie im Italien-Urlaub, während ich das Haus hütete. Das Auto stand vollgetankt vor der Tür, nützte mir aber noch nicht viel – ich hatte gerade erst meine theoretische Fahrprüfung abgelegt, bis zur praktischen sollte es noch etwas dauern. Die Tour musste also per Bahn durchgeführt werden. Und zwar jetzt, denn ich hatte in den Osterferien einiges vor. Den Luxus, auf gutes Wetter zu warten, hatte ich leider nicht – und der Wetterbericht war alles andere als glückverheißend.
Ernüchterung auch, wenn man in den Fahrplan schaute: Auf der Daadetalbahn war nur bis zum frühen Nachmittag Betrieb. Damit sich die Fahrt einigermaßen lohnte, musste ich mich schon um 8.30 Uhr in Betzdorf einfinden. Das war im Jahr 1988, mit Umstieg in Köln, mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Ich löste das Problem, indem ich am Vortag an die Siegstrecke reiste und in der Jugendherberge Windeck-Rosbach übernachtete. Auch sonst arbeitete ich einen netten Plan aus, der mich anschließend über Gießen und die Lahntalbahn am Folgetag wieder zurückbringen würde.
Die Bilder des Vortags (28. März 1988) lassen wir am besten unerwähnt, nur ein paar Worte zu den Rahmenumständen: Es regnete natürlich wie angekündigt, die Sieg führte Hochwasser und trat deutlich über ihre Ufer, Felder und Wiesen waren überschwemmt, und zu Fuß holte mir das eine oder andere Mal nasse Socken. Ein Tag zum Vergessen.
Am Morgen darauf stand ich um halb neun in Betzdorf auf dem Bahnsteig. Und los ging´s:
1. Der Nto 6315 (Betzdorf – Neunkirchen) steht am Hausbahnsteig in Betzdorf bereit und wartet auf die Abfahrt. Das Gespann aus 798 632-6 und 998 919-5 sollte uns heute noch häufiger begegnen.
2. Gegenüber steht auch „unser“ Zug nach Daaden bereit: Nto 6757, heute gebildet aus 798 642-5 und 998 769-6. Am VT fehlt bereits die »Uerdingen-Raute«, die Ende der 1980er-Jahre offenbar rasch »Freunde« fand. Eine Siegener »Spezialität« waren außerdem die Blechtaschen neben den Leuchten, in denen die rote Zugschlussscheibe eingesteckt werden konnte.
3. Da meine Zeit begrenzt war, entschied ich, mich in erster Linie für Fotos rund um Grünebach zu positionieren und bei der ersten »Runde« nicht bis zur Endstation Daaden durchzufahren. Daher saß ich nur bis zum kleinen Haltepunkt Schutzbach im Zug und stieg dort wieder aus. Von hier aus wollte ich zurück nach Grünebach laufen.
4. Nach kurzer Zeit kehrten 798 642-5 und 998 769-6 als Nto 6760 aus Daaden zurück, aufgenommen bei Streckenkilometer 2,6 kurz hinter Schutzbach.
5. Eine gute Stunde später stand ich wieder in Grünebach und postierte mich an dem bekannten Streckenabzweig mit dem hübschen Stellwerk und der Tunnelausfahrt (zu sehen in Bild 7). Doch zuvor kam aus der Gegenrichtung der Nto 6322 (Herdorf – Betzdorf) auf der Hellertalbahn angeknattert, wieder aus 798 632-6 und 998 919-5 bestehend.
6. Kurz darauf erschien die 212 162-2 mit einem Güterzug. Ich habe mir als Zugnummer damals Üg 69654 (Würgendorf – Betzdorf) notiert, die Angabe hatte ich aus dem „Bundesbahn-Lexikon 1987“ vom EK. Ob´s stimmt? Schön kann man hier noch den Hauptbahncharakter der Strecke erkennen – das vordere Gleis war aber bereits nicht mehr in Betrieb…
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. …wie man auf dem Bild mit der Tunnelausfahrt gut sehen kann. Eine halbe Stunde später kam wieder 798 632-6, jetzt mit dem führenden 998 919-5, als Nto 6323 (Betzdorf – Neunkirchen) vorbei. Links liegt das Gleis der Daadetalbahn. »Legendär« sind die späteren Parallelausfahrten der Schienenbusse, die sich von Betzdorf aus ein Wettrennen bis zu dieser Stelle lieferten. Davon hat sich der eine oder andere User in diesem Forum Fotos?
8. Und wieder eine halbe Stunde die erneute Rückfahrt nach Betzdorf als Nto 6324 am Haltepunkt Grünebacherhütte.
9. Nur ein paar Meter abseits liegt der sehenswerte Haltepunkt Grünebach, nun wieder an der Daadetalbahn. Ich mache schnell einen der sonst von mir ungeliebten Rückschüsse, während sich die Schranken senken. Diesmal fahre ich bis Daaden mit!
10. Endbahnhof Daaden bei Streckenkilometer 8,3 mit 798 642-5 und 998 769. Die Zugschlussscheiben sind bereits ausgetauscht, der Schienenbus steht bereits für die Rückfahrt als Nto 6766.
11. Schnell noch ein paar Bilder von der anderen Seite.
12. Was für eine Bahnhofs-Idylle! Nur das abgebaute Umsetzgleis trübt ein wenig das Bild. Schnell wieder rein in den Schienenbus und zurück.
13. In Grünebach verlasse ich den Zug, denn ich will nun weiter auf der benachbarten Hellertalbahn in Richtung Dillenburg, um mein Tagesprogramm zu schaffen. Ich gehe die paar Meter zum benachbarten Haltepunkt Grünebacherhütte und steige dort in den nächsten Schienenbus nach Neunkirchen (Kr Sieg) ein.
14. Bahnhof Herdorf: Hier kreuzen wir mit einer anderen Schienenbusgarnitur, die als Nto 6332 auf dem Weg nach Betzdorf ist. Leider habe ich von dem Tag keine Aufzeichnungen mehr, um welche Garnitur es sich handelt. Bei dem Schienenbus könnte es sich um den 798 634-2 handeln (Erklärung siehe Bild 18), aber bei dem Steuerwagen habe ich keine Ahnung. Hat jemand Infos, mit welchem VS der 798 634 im Frühjahr 1988 gekuppelt war? Beim Bw Siegen blieben die Garnituren meistens monatelang »verheiratet«.
15. Im Bahnhof Neunkirchen ist erst einmal Endstation für meinen Schienenbus (798 632-6 + 998 919-5). Für die Weiterfahrt muss ich auf den 6333 warten, der dann auf der Hellertalbahn weiter über Haiger bis Dillenburg durchfahren wird. Also wieder Zeit, sich die Füße zu vertreten.
16. Am Hausbahnsteig von Neunkirchen ist mittlerweile eine weitere Schienenbusgarnitur vorgefahren, zu der ich leider keine Infos mehr habe. Der hintere VT ist auf jeden Fall einer der Wagen aus den späteren Baulosen E2/F2/G2, bei denen ein drittes Lüftungsgitter an den seitlichen Dachflanken angebracht war. Von den bereits genannten Siegener 798 kommen so eigentlich nur 798 701, 702 und 749 in Frage. Der VS ist ein MAN- oder WMD-Fabrikat (fehlende »Uerdingen-Raute«).
17. Zwischenzeitlich ist mein N 6333 eingetroffen, in dem ich es mir im schiebenden VT gemütlich mache. Da es die Garnitur aus Bild 14 ist, sitze ich mutmaßlich im 798 634-2 und mache einen Rückschuss auf die »ominöse« Garnitur aus Bild 16, zu der sich mittlerweile 798 632-6 + 998 919-5 gesellt haben. Scheinbar fährt der Zug gleich als Vierteiler nach Betzdorf.
18. Eintreffen in Dillenburg. Ich wechsele kurz den Bahnsteig, um noch ein Foto von »meiner« Garnitur zu machen. Die Nummer des VT ist auf keinem der Fotos zu erkennen, aber wegen mehrerer Vergleichsfotos im Internet – die markanten Lackausbesserungen auf der Front im Kupplungsbereich – bin ich da einigermaßen sicher, dass es sich um den 798 634-2 handelt (siehe Bild 14 und 17).
19. Auf dem anderen Bahnsteig stand diese Einheit abgestellt, zu der ich leider auch keine Infos habe. Wieder handelt es sich um einen VT aus der späteren Lieferserie (siehe Lüftungsgitter), von denen der 798 702 ausscheidet: Der hatte zum Aufnahmezeitpunkt die »Siegener Blechtaschen« neben den Leuchten und außerdem eine Uerdingen-Raute. Der 798 701 ist zwar auch ein Uerdinger, bei ihm scheint aber die geklaute Raute irgendwann durch ein Stückchen Zierleiste ausgebessert worden zu sein – erkennbar auf vielen Fotos im Internet. Bliebe also von den Siegener Schienenbussen nur der 798 749-8. Allerdings kamen wohl auch mal Gießener 798 bis Dillenburg.
Von Dillenburg aus fahre ich nach Wetzlar und von dort aus über die Lahntalbahn bis nach Weilburg, wo ich mich wieder in der Jugendherberge einquartiere. In Weilburg entstanden noch einige Aufnahmen.
20. 18.16 Uhr zeigt die Bahnhofsuhr im Hintergrund an. Die Gießener 216 205 bespannt den Eilzug – vermutlich – 3790 von Fulda nach Koblenz.
21. Kurz darauf erreicht 216 141 mit N 3769 (Koblenz – Gießen) den Bahnhof Weilburg. Das Foto wurde damals im Lok-Report 8/1988 veröffentlicht, weil die Lok drei Wochen später einen Motor- und Getriebeschaden erlitt und als eine der ersten Serien-216er ausgemustert wurde.
22. Kurz nach 19 Uhr nahm ich noch eine Schienenbusgarnitur auf, bei der mir wieder meine Notizen versagen. Auch hier fehlt bei dem führenden Steuerwagen die Uerdingen-Raute. Bei dem Zug müsste es sich um den N 6987 (Limburg – Gießen) handeln.
Und damit endet dieser Regentag vor 35 Jahren – vielen Dank an alle Leser, die bis hierhin durchgehalten haben. Am Folgetag sollte es auf der Lahntalbahn weitergehen, wo ich in Limburg Station machte: Dort war Besuchstag im Ausbesserungswerk. Davon erzähle ich im zweiten Teil: [
www.drehscheibe-online.de]
Viele Grüße
Malte
Edit: Link ergänzt.
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 30.03.23 11:41.