Liebe HiFo-Gemeinde,
das Deutsche Dampflok-Museum in Neuenmarkt-Wirsberg beherbergt eine beeindruckende Zahl von Lokomotiven des ausgehenden Dampfzeitalters. Der größte Teil der Sammlung fußt auf den Fahrzeugen, die der Bauunternehmer und Eisenbahnfreund Günter Knauß in der Mitte der 1970er Jahre zusammengetragen hat. Im Jahr 1977 eröffnet, bietet das DDM einen einzigartigen Querschnitt durch die Dampflokgeschichte. Seit 1984 von einem Zweckverband aus dem Bezirk Oberfranken, dem Landkreis Kulmbach und der Gemeinde Neuenmarkt getragen, wurde das Museum im Lauf der Jahrzehnte baulich erheblich erweitert und fortentwickelt. Kernstück ist der ehemalige Ringlokschuppen des früheren Bw Neuenmarkt-Wirsberg mit seiner Segmentdrehscheibe. Unterstützung fand das Projekt von Anfang an durch den
Verein der Freunde des DDM e.V.
Im heutigen Beitrag dreht sich alles um ein
Randthema: Wir betrachten die
Tender der fünf DDM-Lokomotiven 01 111, 03 131, 18 610, 18 612 und 44 276. Diese Maschinen sind heute nicht mehr mit den Tendern verbunden, mit denen sie während ihrer letzten Betriebszeit gelaufen sind und mit denen sie auch im DDM eintrafen (18 612 kam bereits ohne Tender an, 18 610 ist teilweise verschrottet).
Bei der Ausarbeitung meines Artikels waren mir
Joachim Bügel, die Eisenbahnstiftung Joachim Schmidt, Prof. Dr. Wolfgang Feuerhelm, Roland Fraas, Jürgen Goller (NNE), Friedemann Krauß (friedel) und Werner Vierling mit Informationen, Daten und Fotos behilflich. Vielen Dank an Euch!
Damit wir einen Überblick in die etwas verwickelte Geschichte bekommen, sind die Hauptdarsteller der
Neuenmarkt-Wirsberger Tendergeschichten hier mit ihren wichtigsten Eckpunkten zusammengefasst:
1) Tender 2´2´T34 (Borsig/15045/1941)
mit 001 111 gekuppelt seit 14.12.1972, Ausmusterung 20.03.1974, seit 1976 an 03 131
2) Tender 2´2´T32 (Herkunft bisher unbekannt)
im Oktober 1975 vom AW Braunschweig ins DDM überführt, seit 1976 an 01 111
3) Tender 2´2´T34 (Borsig/15108/1941)
mit 03 131 gekuppelt seit 01.07.1949, Ausmusterung 24.08.1972, im DDM verschrottet 1976
4) Tender 2´2´T31,7 (J.A.Maffei/5781/1928)
mit 18 610 gekuppelt seit 31.10.1957, Ausmusterung 20.11.1962, seit 1976 an 18 612
5) Tender 2´2´T34 (Borsig/15425/1943)
mit 44 276 gekuppelt seit 09.05.1957, Ausmusterung 07.10.1975, im DDM verschrottet 1976
6) Tender 2´2´T34 (Schichau/3648/1942)
bis Dezember 1972 mit 001 111 gekuppelt, im DDM verschrottet 1976
7) Tender 2´2´T34 (Jung/8316/1938)
bis September 1972 mit 001 088 gekuppelt, im DDM verschrottet 1976
In der nun folgenden Bilderserie „arbeiten“ wir die Tender der Reihe nach ab. Los geht´s mit:
1) Tender 2´2´T34 (Borsig/15045/1941)
mit 001 111 gekuppelt seit 14.12.1972, Ausmusterung 20.03.1974, seit 1976 an 03 131
Bild 1 Der Tender Borsig/15045 wurde im Jahr 1941 mit 44 364 geliefert und beim Bw Karsznice, südwestlich von Łódź/Polen, in Dienst gestellt. In obiger Aufnahme vom 23.06.1959 wartet die Lok fast zwei Jahrzehnte später in ihrem Heimat-Bw Dillenburg auf den nächsten Einsatz (Aufnahme: Helmut Röth, Archiv der Eisenbahnstiftung).
Bild 2 Seit 24.02.1965 mit 44 344 gekuppelt, befand er sich am 07.12.1969 im Heimat-Bw Ehrang in misslicher Lage. Da die Steuerung der 044 344 noch auf Vorwärtsfahrt liegt, sprechen die Umstände dafür, dass entweder vergessen wurde, diese bei Abstellung auf Mitte zu legen und sich die Lok dann selbständig gemacht hat, oder dass es dem Lokführer nicht gelang, die Lok rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Aber das wissen wohl nur die, die seinerzeit dabei waren (Aufnahme: Jean-Pierre Steffen, Sammlung: Wolfgang Kreckler, Archiv der Eisenbahnstiftung).
Bild 3 Der Tender lief bis März 1972 an 044 344, erhielt dann im AW Trier eine L2-Zwischenausbesserung (09.05.1972) und wurde am 14.12.1972 im Bw Hof mit 001 111 verbunden. Drei Wochen später begegnete mir die Maschine am 03.01.1973 in voller Fahrt nahe Fattigau vor dem E 659
Frankenland (Saarbrücken 7.51 Uhr – Hof 15.16 Uhr). Noch acht Kilometer bis zum Ziel.
Bild 4 Vier Monate danach, am 27.04.1973, hatte 001 111 in Neuenmarkt-Wirsberg wenige Minuten Pause, ehe sie mit dem E 1863 (Tübingen 5.36 Uhr - Hof 13.33 Uhr) über die Schiefe Ebene steil bergan dampfte. Die Lok erhielt an diesem Tag trotz leichter Überlast keine Schubhilfe. Niemand wusste damals, dass aus dem rechts sichtbaren ehemaligen Bw Neuenmarkt-Wirsberg bald eines der bedeutendsten Eisenbahnmuseen werden und 001 111 dort eine Bleibe finden würde. Links erkennt man am Hausbahnsteig einen Nürnberger Triebwagen der Baureihe 624, der eine Minute nach dem 01-Zug um 12.29 Uhr als N 2664 in Richtung Bayreuth – Pegnitz startete.
Bild 5 Die letzten vier 01 der Deutschen Bundesbahn wurden im Herbst 1973 beim Bw Hof außer Dienst gestellt. Zu ihnen gehörte 001 111, die am 20.03.1974 mit Verfügung der BD Nürnberg 21A M18 Fau ausgemustert wurde. Günter Knauß war zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Suche nach geeigneten Exponaten für sein Museum, nachdem sich Neuenmarkt-Wirsberg relativ schnell als gesichertes Objekt herausgestellt hatte (Ludwigshafen und Lindau schieden aus). Zu den Auserwählten zählte auch 001 111, die am 14.03.1975 von ihm erworben wurde. Zur selben Zeit entstand dieses besondere Foto ihres Tenders Borsig/15045 im kurz vor dem Abbruch stehenden Rundschuppen des Bw Hof. Beim Entfernen der Farb- und Schmutzkrusten war die wohl bekannteste Nazi-Parole des Eisenbahnverkehrs aus düsterer Vergangenheit wieder zutage getreten (März 1975).
Bild 6 Im Lauf des Jahres 1975 füllte sich der Rundschuppen des einstigen Bw Neuenmarkt-Wirsberg nach und nach. Die Aufnahme vom November 1975 zeigt v.l.n.r. 65 018, 94 1730, 01 111 (o.T.), 64 295, 86 283, Tender Borsig/15045 von 01 111 und 18 612 (o.T.).
Bild 7 Rangierarbeiten im März 1976: Die leichte Schwester der 01 111, die Ex-Ulmer 03 131, bekommt den zuvor mit 01 111 gekuppelten Tender Borsig/15045. Aus heutiger Sicht ist es bedauerlich, dass man die gleichermaßen schauerliche wie historisch wertvolle Parole „Räder müssen rollen für den Sieg“ damals nicht konserviert und für die museale Darstellung einer glücklicherweise überwundenen Vergangenheit genutzt hat. Die Zeit war aber im Jahr 1976 in weiten Teilen der Gesellschaft noch nicht reif für einen offenen Umgang mit der eigenen Geschichte. Ich erinnere mich noch gut an die Anfänge meiner Tätigkeit als hobbymäßiger Autor von Veröffentlichungen über eisenbahngeschichtliche Themen in den 1970er Jahren. Wenn ich ein Foto einer mit Hakenkreuz oder mit einschlägigen Parolen versehenen Lok im entsprechenden historischen Kontext verwenden wollte, fehlte es nicht an mahnenden Worten vor allem aus der älteren Generation, ich solle das lieber lassen. Man war sehr geübt im Totschweigen.
Bilder 8 und 9 Die Fahrzeuge der DDM-Sammlung wurden zunächst sandgestrahlt, bevor sie eine Grundierung (oben) und anschließend ihre endgültige Lackierung erhielten (unten). Günter Knauß spritzte fast alle Tender und Loks selbst, hier den Tender Borsig/15045. Beide Aufnahmen entstanden im August 1976.
Bild 10 Und das ist das Ergebnis: 03 131 erstrahlt mit ihrem „neuen“ Tender Borsig/15045 (ex 01 111) in jugendlich-frischem Glanz und repräsentiert, als eine von nur zwei erhaltenen Bundesbahn-03, die leichte Reichsbahn-Dampfschnellzuglok des einstigen Einheitslokprogramms (Aufnahme vom 25.05.2007).
(Fortsetzung folgt in wenigen Minuten)
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 18.01.23 22:19.