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Passionsspiel-Verkehr 1960


„Zeitenwende“…. dieses gerade überstrapazierte Wort trifft es auch ein wenig, wenn man den üblichen 10-Jahres-Sprung zwischen den Passionsspielen 1950 und 1960 bahnspezifisch betrachtet.

1950, da wollte sich die DB mit der sicheren Abwicklung der ersten Nachkriegsspiele positiv ins Spiel bringen, es herrschte Aufbruch, Optimismus und Fortschrittsglaube.
1960 hätte es die Bahnstrecke fast schon nicht mehr gegeben und bangte man vor allem nach den Spielen anhaltend um den Fortbestand. Die Hoffnungen, die sich mit der Erneuerung der Oberleitung 1953/54 und der Systemanpassung auf 16 2/3 Hz entwickelt haben, wurden schnell enttäuscht. Statt des „Anschluss an die weite Welt“ gab es Mitte der 50er vermehrte Zugstreichungen, viele Buskurse und gefährliche Stilllegungs-Drohungen.

Zusammengefasst war in diesen 10 Jahren folgendes passiert: Bw Murnau aufgelöst, E69 teilweise umbeheimatet, E69 01 ausgemustert, Oberleitung umgebaut, Systemumstellung, Kraftwerk Kammerl liefert nicht mehr direkt an die Bahnstrecke, deutlich reduziertes Zugangebot, Lokalbahnhof Murnau stillgelegt

Aber: Diese überwiegend negativen Entwicklungen – symptomatisch für den Beginn der bis heute anhaltenden Bevorzugung des Individualverkehrs zu Lasten der Eisenbahn – hatten allerdings auf die Abwicklung des Passionsspielverkehrs keinen ganz großen Einfluss, dieser betraf eher den „Alltagsbetrieb“. Im Gegenteil. Die Durchbindung ohne Lokalbahnhof und das einheitliche Stromsystem machten die Abwicklung einfacher. Keine Leih-Dampfloks mehr in Murnau, keine Sägefahrten zur Ammergauer Bahn – durchgehender Verkehr und Lokdurchläufe waren nun möglich. Die Lokalbahn war verschwunden, eine „Nebenbahn“ war noch da.

Im normalen Fahrbetrieb wurde der bis Mai 1960 praktizierte Mischbetrieb aus Triebwagen der Reihe ET85 und 90, sowie einigen Kursen der alten Lokalbahngarnituren mit E69 04 oder 05 bespannt, nun komplett auf Wendezüge mit neu angelieferten E41 des Bw München umgestellt. Diese wurden aus je 3 Mitteleinstiegswagen gebildet. Trotz einer Angebotsausweitung auf 18 Züge, darunter auch Eilzüge von/nach München, verblieben auch Bus-Kurse im Fahrplan – war ja die Zukunft…. Das dachten sich wohl auch die Murnauer Anwohner an der Strecke und erhoben bereits wenige Tage nach Umstellung auf die Wendezüge scharfen Protest: Die nervtötende Huperei der Wendezugwagen ließ sie auf die Barrikaden gehen, 50 Jahre Lokalbahn-Pfeiferei hatten nicht gestört. Die DB versprach an einer Lösung zu arbeiten, die Hupe der Wagen auf einen Lokpfeifen-Ton umzustellen. Darauf warten wir bis heute….

Passion50ET85.jpg
Im Frühjahr 1960, einige Wochen vor Beginn der Passionsspiele, machte die Pressestelle der DB ein Image-Foto für die bevorstehende Festspielzeit. ET85 34 war da noch im Plandienst auf der Strecke und diente daher als Kulisse, obwohl man beim Spielverkehr dann schon auf ihn verzichtet und damit ein 9-jähriges Intermezzo des Triebwagens vorüber war. Auch die "Reisenden" waren gestellt, so ist der Herr im grauen Mantel und der Aktentasche der dann in den nächsten Jahrzehnten als "Zugrevisor" gefürchtete Herr Goreki. Auch ich als Fahrschüler nahm mich fast 20 Jahre später lieber in Acht vor ihm. Als Abschluss des heutigen Beitrags hinterlässt er dann aber nochmals eine Spur(siehe unten). Den anderen Protagonisten sieht man dann überwiegend an, dass sie Ammergauer sind. Schließlich galt zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits seit 14 Monaten der "Haar- und Barterlass", der seit Aschermittwoch 1959 das Schneiden von Haupt- und Barthaar verbot. Kurzhaarige und Bartlose Beteiligte auf dem Foto waren also entweder nicht spielberechtigte Auswärtige, oder aber "Römer". Bahnhof Oberammergau, April 1960


Die Baureihe E41 prägte aber den Sonderzugverkehr komplett. Wegen der Achslasten waren keine anderen Neubauloks auf der Strecke zugelassen, die E44 war wohl auch noch nie ein Thema für die Bahn gewesen, so dass also 1960 mal bis zu 10 Maschinen der E41 auf der Strecke zu finden waren, sonst aber nichts. Die „Bus-Mafia“ hielt im Rahmen von Deutschland- und Europareisen den Pilgerverkehr zu den Passionsspielen bereits so fest in der Hand, dass zwar noch bis zu 6 Sonderzüge an den Wochenenden über die Bahn liefen, aber viele Anreisen nun per Bus-Pauschalreise stattfanden. Erstmals sanken daher die Reisendenzahlen im Vergleich zur Vor-Passion deutlich ab.

Passion50E41Sz.jpg
Beeindruckendes Szenario im Bahnhof Oberammergau: Eben ist am frühen Vormittag ein Sonderzug in voller Bahnsteiglänge eingetroffen und die Reisenden machen sich auf den etwa 10 minütigen Fussweg ins Passionstheater, wo sie die nächsten 7 Stunden "beschäftigt" sind. Auf Gleis 2 und 3 sind offensichtlich im Blockabstand vorher jeweils ebenso lange Züge angekommen. Auch die Abstellgleise sind vollgestellt und sowohl im Umfahrungsgleis im Hintergrund, als auch im Ausfahrtgleis erkennt man weitere E41




Die Leistungen der E69 beschränkten sich auf eine Güterzugleistung Murnau – Oberammergau – Murnau am Vormittag, außerdem eine Lz Murnau – Grafenaschau und dann eine weitere Güterzugfahrt Grafenaschau – Murnau – insgesamt 108 Laufkilometer am Tag. Sicherlich fiel regelmäßig auch die eine oder andere Sonderleistung an, so dass die zwei Loks auf nachfolgende Leistungbilanz zurückblicken können:

Mai 1960
E69 04 15 Einsatztage / 1382 Laufkilometer
E69 05 24 Einsatztage / 2318 Laufkilometer

Juni 1960
E69 04 22 Einsatztage / 2404 Laufkilometer
E69 05 6 Einsatstage / 685 Laufkilometer

Juli 1960
E69 04 15 Einsatztage / 1388 Laufkilometer
E69 05 25 Einsatztage / 2640 Laufkilometer

August 1960
E69 04 8 Einsatztage / 502 Laufkilometer
E69 05 31Einsatztage / 3390 Laufkilometer

September 1960
E69 04 9 Einsatztage / 641 Laufkilometer
E69 05 30 Einsatztage / 3253 Laufkilometer


Passion50Stellw.jpg
Für die Abwicklung des Festspielverkehrs wurde in Oberammergau, direkt neben dem Schlüsselstellwerk ein Stellwerkswagen aufgestellt. Schön, mit Blumenkasten am Fenster.

BlickRiSchluesslestw_NEW.jpg
Unmittelbar vor der Rückbau aller Gleisanlagen (außer Gleis 3) war an gleicher Stelle auch viel Botanik im Spiel....(Ende der 90er Jahre)





Natürlich wurde die Strecke vor den Spielen 1960 wieder auf Vordermann gebracht, „Entwicklungssprünge“ wie früher im 10-Jahres-Rhythmus gab es aber nicht mehr. Von nun an gewährleisteten die Passionsspiele nur noch das Halten des "Status Ouo", verhinderten also in den 9 Jahren dazwischen größere Rückbauten. Wurden auch vereinzelt mal Spurpläne geändert, so behielt die Strecke über Jahre hinweg ihr ausgedehntes Gleisnetz im Hinblick auf den nächsten Passion.

Von nun an gings bergab - dieser 1960 noch gar nicht veröffentlichte Knef-Song galt dennoch schon für diesen Passionsfahrplan - und besser wurde es auch nicht mehr. Im Passionsjahr 2022 gibt es seit Juni überhaupt keinen Zugverkehr mehr.....

Fortsetzung folgt

IMG.jpg
Zurück zum "Zugrevisor Hr. Goreki". In den 2000er Jahren kehrte sich das "Verhältnis" dann um. Nicht mehr ich hatte gehörigen Respekt vor der grauen Eminenz, sondern er kam in seinen letzten Lebensjahren immer wieder mal zu mir in den Laden, um, wohl etwas vereinsamt, über meine Bücher zu Strecke zu sprechen. Einmal brachte er mir dabei ein selbstgemaltes Bild mit, auf das er sehr stolz war. Malerei war wohl seine späte Leidenschaft geworden....



Fotos jeweils aus meiner Sammlung zum Buchprojekt E69


Bernd Mühlstraßer

Ein paar VIDEOS der BAUREIHE E69 - z.B.hier:
[www.youtube.com]

oder wie wär´s mit der E69-Facebook-Seite unter dem Suchbegriff: Die Baureihe E69
Sehr schön!

Bernd Mühlstraßer schrieb:
[attachment]
Für die Abwicklung des Festspielverkehrs wurde in Oberammergau, direkt neben dem Schlüsselstellwerk ein Stellwerkswagen aufgestellt. Schön, mit Blumenkasten am Fenster.

Welche Aufgabe hatte denn der Stellwerkswagen? Und wie wurden die Weichen gestellt (gelegt)? Manuell? Oder elektrisch?

Weiterleitung aktiviert....

geschrieben von: Bernd Mühlstraßer

Datum: 08.09.22 18:40

Zp9b an Gleis 9 3/4 schrieb:
SWelche Aufgabe hatte denn der Stellwerkswagen? Und wie wurden die Weichen gestellt (gelegt)? Manuell? Oder elektrisch?

Genau diese Frage habe ich mir heute beim Einstellen des Fotos auch gestellt, zumal man auch keine "Verbindung" zwischen dem Wagen und dem Umfeld erkennen kann. Ich hab ehrlich keine Ahnung, weder direkt im Bezug zur Situation hier vor Ort, noch, welche Funktion und Funktionsweise so ein Wagen denn überhaupt hatte.
Ich darf also diese Frage, zumindest in der allgemeinen Verwendung solcher Behelfseinrichtungen, an die allwissende Crowd weitergeben!

Zeitweise (in den 70ern nicht mehr) gab es ferngesteuerte Weichen in Oberammergau, so wie die hier im Vordergrund sichtbare Kreuzungsweiche. Es gab im Schlüsselstellwerk nach meiner Beobachtung auch so ein Stellregal für elektromagnetische (?) Steuerung, das "in meiner Zeit" nicht mehr genutzt wurde.

Bernd

Bernd Mühlstraßer

Ein paar VIDEOS der BAUREIHE E69 - z.B.hier:
[www.youtube.com]

oder wie wär´s mit der E69-Facebook-Seite unter dem Suchbegriff: Die Baureihe E69
Also durften nun dreiachsige Wagen auf die Strecke? Zumindest sieht das nach solchen Umbauwagen aus.
Moin!

Könnte es sein, dass man hiermit den Fahrdienstleiter im Empfangsgebäude in seinem E43-Stellwerk entlastet hat?

Im Regelbetrieb hatte er ja von "ganz hinten" die "Alleinherrschaft" über den Kopfbahnhof und nur eine bedingte Sicht über das Freifahren der Zugschlussstelle. Zudem waren die Rangierzeiten "dahinten" ja eigentlich immer entspannt.

Insofern kann ich mir denken, dass man mit dem Stellwerkswagen quasi ein temporäres Wärterstellwerk geschaffen hat, mit dem, wenngleich vermutlich nicht signaltechnisch sicher, die Zustimmung für das Freisein der Gleise gegeben wurde. Auch konnte man so da sicherlich schneller mit dem Schlüsselwerk hantieren.

Grobe Vermutung meinerseits, aber deswegen auch der erhöhte Standpunkt und der wachsame Blick des Fahrdienstleiters auf den einfahrenden Zug.

Gruß

Krückau - Rhein - Isar - Elbe - Leine - Oker - mein Leben ist eine Flusskreuzfahrt!

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