Guten Tag,
hier nun die ausführliche Buchbesprechung,
mit Plus und - leider - auch Minus .....
(geschrieben vom Kollegen AR).
Gruß aus Köln
Rolf Hafke, TS: TramShop
hafke.koeln@t-inline.de
„Die Gelenk-Straßenbahnen in Duisburg “ von Wolfgang Nyga und Winfried Roth, Essen 2021, 224 Seiten im Format 21,5 x 28,5 cm, gebunden, Herausgeber: Eigenverlag Wolfgang Nyga, Preis: 39,90 €
Bei der Frage, welcher Straßenbahnbetrieb in der Bundesrepublik ab den 1960er Jahren über den abwechslungsreichsten Wagenpark verfügte, steht die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) sicherlich ganz vorne. Dazu trugen nicht nur die zahlreichen aus Zweiachsern zusammengebauten Gelenkwagen bei, sondern auch eine sehr innovative Hauptwerkstatt, welche immer wieder bauliche Veränderungen an Fahrzeugen vornahm, die selbst bei baugleichen Serien zu Unterschieden führten. Auch experimentierte der Betrieb gerne mit der farblichen Gestaltung seiner Fahrzeuge. Nicht zuletzt war Duisburg auch die Heimat der ersten für einen deutschen Betrieb gebauten Gelenkwagen im Jahre 1926.
Die Vielfalt entstand aber nicht ganz freiwillig, denn dem Betrieb fehlten nach dem Gewaltakt der Umspurung etlicher Strecken von Meterspur auf Normalspur die finanziellen Mittel einer umfassenden und kontinuierlichen Modernisierung des Wagenparks, die auch die traditionell finanzknappe Stadt Duisburg nicht immer vermochte in notwendigem Maße beizusteuern. Also suchte die DVG nach Wegen, kostengünstig ihren Fahrzeugpark den Bedürfnissen anzupassen und beschritt dabei auch unkonventionelle Wege. Eine Spezialität waren dabei die zahlreichen aus Zweiachsern umgebauten Fahrzeuge, die es in Duisburg in großer Stückzahl und Vielfalt gab.
Seit über 30 Jahren ist die einstige Vielfalt einem aus zwei Typen bestehenden Wagenpark für den Personenverkehr gewichen, die nun durch zwei Modelle neuer Bauart ersetzt werden. Die Erinnerung an das was mal war verblasst zunehmend und rief nach einer zusammenhängenden Darstellung. Diese wird nun für den Bereich der Gelenkwagen von zwei Verkehrsfreunden aus dem Ruhrgebiet im Eigenverlag vorgelegt, da kein Verlag für dieses Thema zu begeistern war.
Die Geschichte dieser Bauart in Duisburg ist lang und reicht über mittlerweile 95 Jahre vom Harkortwagen des Jahre 1926 bis zum Niederflurgelenkwagen und den bestellten Hochflur-Stadtbahnwagen heutiger Tage. Der Buchrücken ist in freundlichem gelb/orange gehalten und erinnert damit an die Farbgebung, welche die Duisburger Straßenbahnen ab 1973 nach und nach bekamen, ehe sie nach gerade einmal zehn Jahren zunächst bei den Neubauten und dann auch bei den Bestandfahrzeugen durch die vom Land NRW gern gesehene Lackierung in Landesfarben abgelöst wurde.
Das Inhaltsverzeichnis (in der Schriftgröße arg klein) zeigt eine gut gegliederte und übersichtliche Darstellung des Themas. Die Einleitung weist auf die besondere Geschichte der DVG mit mehreren Vorgängerbetrieben in unterschiedlichen Spurweiten hin und schildert die sich daraus ergebende Situation nach dem Zusammenschluss mit den sich daraus ergebenden Schwierigkeiten, die eingangs dieser Rezension genannt wurden. Die generellen Anmerkungen betreffen für alle Fahrzeugserien gültige Details wie Nummerierung, technische Ausstattung, Farbgebung, Umbauten für Einmannbetrieb und Außenwerbung. Dabei wird natürlich auch ein weitgehendes Alleinstellungsmerkmal der DVG-Gelenkwagen genannt, nämlich die Ausstattung von Einrichtungswagen mit Türen auch auf der linken Fahrzeugseite und einem Hilfsführerstand am Heck. Dass es mit Würzburg einen weiteren Betrieb gab, der seine Fahrzeuge derart ausstattete wird im Buch dann ebenfalls nicht vergessen zu erwähnen.
In vielen Veröffentlichungen zur Orientierung vermisste Übersichtskarten wurden nicht vergessen und zeigen drei Netzzustände zwischen 1960 und heute mit ergänzender Beschreibung der jeweils eingesetzten Linien. Nicht unwichtig ist für den großen Buchteil der Beschreibung der einzelnen Fahrzeugserien in chronologischer Reihenfolge ein Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen. Bei der Frage, warum die DVG über einen im Vergleich zum tatsächlichen Bedarf immer sehr großen Wagenbestand hatte und so schnell auch nichts verschrottete, kommen die Betriebshöfe ins Spiel. Deren fünf Stück mit teilweise sehr viel Platz werden in einem eigenen Kapitel vorgestellt, übrig geblieben ist davon heute nur noch einer in Grunewald. Die Hauptwerkstätte ist diesem praktischerweise angegliedert.
Ergänzt wird der Inhalt um mit der Darstellung der eigenen Gelenkwagen verbundene Themen wie die hinter den Gelenkwagen eingesetzten Beiwagen, Gelenkwagen anderer Betriebe in Duisburg sowie das Unfallgeschehen an Hand von Pressemeldungen. Wie es sich für eine derartige Darstellung gehört, gibt es auch eine komplette Statistik aller Fahrzeuge, die (außer dem nach einer etwas größeren Schrift) keine Wünsche offenlässt. Auch das Thema Modelle wurde nicht vergessen und ein ausführliches Verzeichnis der Quellen, Bilder und Zeichnungen beschließt das Buch, zu dessen Gelingen zahlreiche Personen und Organisationen beigetragen haben, wie aus den Danksagungen hervorgeht.
Die einzelnen Beschreibungen der Fahrzeugserien sind einheitlich gegliedert und behandeln diese von der Indienststellung bis zur Außerbetriebnahme. Bei Weitergaben an andere Betriebe wird auch der dortige Einsatz dokumentiert. Ein besonderes Highlight sind die eingestreuten maßstäblichen, farbigen Fahrzeugzeichnungen, die aber nur zum Teil mit Maßen versehen sind. Sie gibt es für den Lieferzustand und spätere Umbauten und auch für die einzelnen Farbvarianten. Ein „Kasten“ mit den technischen Daten steht am Anfang jeder Beschreibung, dort sind auch nachträgliche Veränderungen der Wagennummern genannt, während sich die Ursprungsnummer in der Kapitelüberschrift befindet. Dabei hat es im Laufe der Jahre zwei- drei- und vierstellige Nummern gegeben.
Was leider fast gänzlich fehlt ist eine Betrachtung der Innenräume der Wagen. Die Darstellung der Fahrzeuge findet nur äußerlich statt, weder bei den Zeichnungen noch bei der Bebilderung gibt es eine Dokumentation des Aussehens von Innen mit Raumaufteilung und Bestuhlung. Dies ist das einzige inhaltliche Manko dieser Veröffentlichung, wobei der Stellenwert einer Darstellung von Innen bei vielen Verkehrsfreunden nach der Erfahrung des Rezensenten aber nicht besonders hoch ist und daher das Fehlen kaum vermisst werden wird.
Die Qualität des Layouts eines privat herausgegebenen Buches wird trotz aller heutigen Möglichkeiten immer Unterschiede zu den von Verlagen zum Druck vorbereiteten Erzeugnissen aufweisen. Dies trifft auch für diese Veröffentlichung zu und äußerst sich z.B. darin, dass etliche Bilder viel zu dunkel herausgekommen sind. Ein grundsätzliches Problem, wenn mehrere von verschiedenen Vorlagen (Negativ, Dia, Farbabzug) gescannte Aufnahmen auf einer Seite erscheinen (was daher tunlich vermieden werden sollte). Ist der Autor auch der Layouter, so neigt er mehr dazu, hier seine persönlichen Vorstellungen zu verwirklichen. So sind etliche Bilder, bei denen es sich überwiegend um Farbaufnahmen handelt, nach Empfinden des Rezensenten zu klein abgebildet. Andererseits gibt es immer wieder weiße Stellen im Buch mit denen dann Platz verschenkt wird. Auch ist die Frage ob es wirklich 670 Bildern bedurfte um die einzelnen Fahrzeugserien ausreichend zu dokumentieren. Das gilt besonders für jene, die im Motiv Schwächen zeigen, wenn z.B. Fahrzeugteile abgeschnitten sind. Weniger und dafür größere Abbildungen hätte die Aussagekraft des Buches sicherlich nicht negativ beeinflusst. Das sind bezogen auf den Wert des Gesamtwerkes aber nur Kleinigkeiten, die man im Auge behalten sollte, wenn man sich noch einmal an so ein Projekt heranwagt.
Festzuhalten bleibt, dass
mit dieser Veröffentlichung ein interessantes Thema Fahrzeuggeschichte umfassend und gut strukturiert abgehandelt wird. Auch als Nachschlagewerk vermag es daher seine Aufgabe hervorragend zu erfüllen.
Das Buch schließt eine Lücke und wird helfen, die
Erinnerung an ein bemerkenswertes Stück Nahverkehrsgeschichte des Ruhrgebiets zu erhalten. Wer es noch selbst erlebt hat, der findet viele Erinnerungen, wer nicht,
der erfährt hier vollständig, was er verpasst hat! (reu)