EP 5 schrieb:
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Das zweite Kapitel über die Waggonfabrik-Wismar, das die Geschichte des Werkes anschaulich wiedergibt, finde ich besonders interessant. Offen bleibt jedoch die weitere Geschichte des nach 1947 aus dem Handelsregister gestrichenen Werkes. Wurde die Fabrik anschließend weiter genutzt, ist sie in Teilen heute noch vorhanden?
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Hallo Marc, hallo Eisenbahnfreunde,
die Geschichte der Waggonfabrik Wismar endete
nicht mit der der Löschung im Handelsregister. Hier eine kleine Chronik der Ereignisse ab Herbst 1944:
Am 25.08.1944 werden große Teile der Waggonfabrik durch einen Bombenangriff schwer zerstört. Neben vielen anderen Gebäuden wird auch das Verwaltungsgebäude in der Kanalstraße getroffen. Verlust des größten Teils des Werkarchivs mit Konstruktionsunterlagen, Werkfotos, Korrespondenzen usw.
Mit der Beseitigung der Bombenschäden wird sofort begonnen.
Bis Januar 1945 war die provisorische Beseitigung der Fliegerschäden (wie man damals sagte) weit gediehen. Noch mit Schreiben vom 18.04.1945 wurde der Waggonfabrik die Genehmigung zur Behebung von Fliegerschäden gestattet. Diese Genehmigung bedeutete eine Befreiung vom sonst herrschenden, kriegslagebedingten Bauverbot.
Nach Kriegsende (in Wismar: 2. Mai 1945 mit dem Einmarsch zunächst britischer und kanadischer Truppen) wird die Waggonfabrik unverändert unter dem Namen „Triebwagen- und Waggonfabrik Wismar AG“ weiter betrieben. Bis ca. Juli 1945 ruhte die Produktion vermutlich. Nachweise für eine Produktionstätigkeit in diesem Zeitraum wurden jedenfalls noch nicht gefunden. Ab August 1945 lief aber die Reparatur von Güterwagen und ab Oktober 1945 auch die Reparatur von Personenwagen.
Im Herbst 1945 begannen Planungen für den Bau von Güterwagen für die Sowjetunion im Rahmen des Reparationsprogramms. Es wurde der Bau von 1500 Waggons pro Monat untersucht (kein Scherz!). Für diese Massenproduktion sollten die Anlagen und das Personal der ehemaligen Dornier- Flugzeugwerke in Wismar, hilfsweise auch der ehemaligen Heinkel-Flugzeugwerke in Rostock mit einbezogen werden. Die Waggonfabrik hielt diese ernormen Leistungen ausweislich der im Stadtarchiv vorhandenen Dokumente der Waggonfabrik tatsächlich für möglich). Diese Massenproduktion kam jedoch nicht zustande. Man darf annehmen, aus Materialmangel.
1946 wird die Triebwagen- und Waggonfabrik AG sowjetische Aktiengesellschaft. Die Firmierung erfolgt als "Waggonfabrik SAG". Nikolai Abramowitsch Gulajew wird zum Generaldirektor ernannt. Direktor bleibt der bisherige Direktor Günther Typke.
1947 Umwandlung der „Waggonfabrik SAG“ zum Landeseigenen Betrieb zum 01.03.1947. Firmierung als „Waggonfabrik Landeseigener Betrieb“. Am 18.06.1947 Enteignung auf Beschluß der Landesregierung. Am 07.07.1947 erging der Befehl der SMA (Sowjetische Militär-Administration) Mecklenburg „über die Vergrößerung der Wismarschen Schiffsreparaturfabrik“ rückwirkend zum 01.07.1947. (Bei der damaligen, 1946 gegründeten Schiffsreparaturwerft handelt es sich übrigens um die heutige "
MV Werften Wismar GmbH).
Als Begründung für die damit verbundene Verschmelzung der Waggonfabrik mit der Schiffsreparaturwerft wurde genannt: „Wegen der Nichterfüllung des Schiffbauprogramms im ersten Halbjahr 1947, infolge ungenügender Fabrikationsbasis, unbefriedigender Leitung von Seiten der Deutschen Verwaltung der Staatlichen Betriebe des Landes Mecklenburg.“
1948: Letzte Eintragung vom 22.07.1948 im Handelsregister lautet „Firma ist erloschen“. Damit endet offiziell handelsrechtlich die Geschichte der Waggonfabrik Wismar.
Zwischen Juni 1947 und Anfang 1949 außer der Fertigstellung einer Serie von 150 Breitspur-Rungenwagen (Neubau) für die Sowjetunion keine Produktion bzw. Reparatur von Eisenbahnfahrzeugen bekannt (d.h.: bisher keine Nachweise im Stadtarchiv Wismar auffindbar). Man machte ja nun in Schiffsreparatur ...
29.10.1949: Dreijahres-Plan über Erneuerungs- und Instandsetzungsarbeiten des Werkes Kanalstraße (also der ehem. Waggonfabrik) zur Wiederaufnahme einer wirtschaftlichen Waggonfertigung nach Trennung von der Schiffsreparatur-Werft!
28.03.1950: Einschreiben an die Stadtwerke Wismar, Direktor Daxberger:
Zitat: „Aufgrund § 5 des mit Ihnen abgeschlossenen Vertrages, kündigen wir hiermit diesen Vertrag zum 30. Juni ds. Js. Da der Betrieb der ehemaligen Triebwagen- und Waggonfabrik, welcher mit der Werft seit dem 01.07.1947 vereinigt ist, voraussichtlich mit dem 1. Juli ds. Js. wieder selbständig wird, wird das Gelände und insbesondere auch die Geleise, diesseits dringend benötigt.
V.V.W.
Schiffsreparatur-Werft
Wismar-VEB“
03.04.1950: Vermerk über ein Gespräch mit Vertretern des Industrieministeriums, Berlin (zur Erweiterung der Schiffsreparaturwerft für den zusätzlichen Schiffsneubau): "Wegen der für den Bau der Neubauwerft erforderlichen Kapazitäten wird erwogen, die Trennung der Waggonfabrik von der Werft etwas zu verschieben". Dabei ist es offensichtlich geblieben ...
1953: Letzte belegte Reparaturen an Schienenfahrzeugen datieren aus dem Jahr 1953. Es handelte sich um Straßenbahntriebwagen aus Stralsund und Schwerin.
Die Schmiede der (ehemaligen) Waggonfabrik hat noch bis 1990 für die Eisenbahn produziert, z.B. Zughaken.
Heute gehört das Gelände größtenteils einem Schiffbauzulieferer, der Fa. Schottel aus Spay am Rhein, deren Wismarer Niederlassung sich auf dem ehemaligen Waggonfabrikgelände befindet und Ruderpropelleranlagen produziert (Link:
SCHOTTEL Wismar). Die auf dem Foto hinten links erkennbare Halle mit dem schmalen, langen Oberlicht stammt noch von der Waggonfabrik. Schon in der DDR gehörte das Werk zum Kombinat Schiffbau (Dieselmotorenwerk Rostock).
Hier eine Übersicht über die Produktpalette ab 1945:
- Güterwagen (Neubau von 150 Stück für die Sowjetunion),
- Reparatur kriegsbeschädigter Schienenfahrzeuge,
- Lastanhänger,
- Pferdefuhrwagen,
- Spaten,
- Kartoffelhacken,
- Ruheliegen,
- Eimer,
- Möbel,
- Küchenherde,
- Werkzeuge (z.B. Brechstangen, Handbügelsägen),
- Holzkisten für russisches Militär,
- u.v.m.
Die Produktionsplanungen für die Monate März – Dezember 1947 sahen wie folgt aus (wegen der unerwarteten Fusion mit der Werft nur teilweise verwirklicht)
- Neubau Güterwagen 380 Stück
- Güterwagenteile für Waggonfabrik Dessau 450 Sätze
- Güterwagenreparatur 1200 Waggons
- Personenwagenreparatur 135 Waggons
- Reparatur Straßenbahnen und Omnibusse 28 Fahrzeuge
Zusätzlich:
- Holzkisten für russisches Militär 37.000 Stück
- Siedlerwagen (Pferdewagen) 970 Stück
- Herde und Öfen 1000 Stück
Tatsächliche Lieferungen der Waggonfabrik Wismar im Zeitraum August 1945 bis Juni 1947 (Reparaturen von Güter- und Personenwagen)
Güterwagen Personenwagen
August 45: 103 Güterwagen, 0 Personenwagen
September 45: 208 Güterwagen, 0 Personenwagen
Oktober 45: 330 Güterwagen, 19 Personenwagen
November 45: 309 Güterwagen, 36 Personenwagen
Dezember 45: 195 Güterwagen, 34 Personenwagen
Januar 46: 197 Güterwagen, 27 Personenwagen
Februar 46: 201 Güterwagen, 32 Personenwagen
März 46: 336 Güterwagen, 37 Personenwagen
April 46: 293 Güterwagen, 27 Personenwagen
Mai 46: 288 Güterwagen, 25 Personenwagen
Juni 46: 327 Güterwagen, 19 Personenwagen
Juli 46: 268 Güterwagen, 8 Personenwagen
August 46: 230 Güterwagen, 12 Personenwagen
September 46: 269 Güterwagen, 19 Personenwagen plus 1 Omnibus
Oktober 46: 237 Güterwagen, 10 Personenwagen
November 46: 176 Güterwagen, 12 Personenwagen
Dezember 46: 172 Güterwagen, 10 Personenwagen
Januar 47: 182 Güterwagen, 7 Personenwagen
Februar 47: 97 Güterwagen, 13 Personenwagen
März 47: 102 Güterwagen, 21 Personenwagen
April 47: 158 Güterwagen, 14 Personenwagen
Mai 47: 156 Güterwagen, 11 Personenwagen
Juni 47: 111 Güterwagen, 10 Personenwagen
Summen: 4.945 Güterwagen, 403 Personenwagen
Viele Grüße
Andreas
Eisenbahnfreunde Wismar e.V.
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