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 05 - Straßenbahn-Forum 

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[C] Frühe Arbeitswagen sowie der Weg zum Straßenbahn-Güterverkehr

Die nachfolgende Beitragsreihe will versuchen die frühen Arbeitswagen in Ausführung, Vielfalt, Einsatzzweck und -zeit sowie Nummerierung darzustellen. Gleichfalls soll auch der Weg zum Straßenbahngüterverkehr in Chemnitz aufgezeigt werden. Der Betrachtungszeitraum beginnt in der Vor-Straßenbahn-Zeit und umfasst einen Großteil der Arbeitswagen bis 1945.

Teil I

Neben den bekannten Fahrzeugen gab es auch Fahrzeuge im Chemnitzer Straßenbahnfahrzeugpark, welche entgegen dem Regulativ für die Pferdebahn bzw. später der jeweiligen Bahnordnungen offenbar keine Betriebsnummer trugen bzw. von denen keine oder nur äußerst wenige Aufnahmen vorliegen. Es gab aber auch Fahrzeuge, welche zeitweise Besonderheiten aufwiesen und somit zu Einzelstücken wurden.
Der folgende Beitrag soll hier einmal versuchen etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Bei den „Nummernlosen“ handelte es sich ausschließlich um Fahrzeuge aus dem Park der Arbeitswagen. Parallel dazu zeichnete sich auch der Weg zum Straßenbahn-Güterverkehr, egal ob für eigene Zwecke oder für Dritte, mit ab.

Etwas Vorgeschichte - Arbeitswagen und Güterverkehr zu Pferdebahnzeiten

Aus den Zeiten der Pferdebahn sind Aufnahmen dieses Verkehrsmittels in Chemnitz recht spärlich gesät. Auf den wenigen Aufnahmen aus der Zeit ab 1880 sind ausschließlich Fahrzeuge zur Personenbeförderung erkennbar. Wagen zur Güterbeförderung oder für Arbeitszwecke sind bildlich nicht dargestellt. Der direkte Beweis für deren Existenz kann somit nicht erbracht werden.
Es bleibt also nur das Thema abzuhaken oder einen indirekten Beweis zu finden.
Ich habe mich für den Weg des indirekten Beweises entschieden. Hierzu mussten wieder verfügbare Textquellen gefunden und bewertet werden. Hier standen insbesondere Aussagen zum Nutzungszweck im Vordergrund. Weiterhin war, um das Bild abzurunden, der zeitliche Ansatz zum Thema auch einige Jahre vor den Beginn des Pferdebahnzeitalters ab 1880 zu legen.

Am 3. Januar 1873 erteilte der Rat der Stadt Chemnitz dem Fabrikanten Rudolf Körner eine Konzession zu Anlegung und Betrieb einer Pferdeeisenbahnanlage innerhalb der Stadt.
Für unser Thema ist §4 der Konzessionsurkunde von Bedeutung.

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Bild 1:
§ 4 Da bei der Pferdeeisenbahnanlage in Berücksichtigung der Verhältnisse der Stadt das Hauptgewicht auf den Gütertransport zu legen ist, so hat die Schienenanlage in allen Straßen, deren Breite dies gestattet, so zu erfolgen, daß der Transport der Güter, ohne vorgängige Umladung, in den Staatsbahnwagen geschehen kann.
Personentransport ist selbstverständlich deshalb nicht ausgeschlossen.

Die Körnersche Konzession mit ihren vorerst nur dem Zweck des Gütertransports in Eisenbahnwagen dienenden Anlagen wurde nicht umgesetzt. Wäre seinerzeit eine Umsetzung des Vorhabens realisiert worden, hätte Chemnitz eine regelspurige Straßenbahnanlage mit Eisenbahnprofil erhalten. Das Vorhaben verschwand jedoch wieder in der Versenkung.

1879 war der Engländer William Roebuck mit der ihm erteilten Konzession erfolgreicher. Zum Teil nutzte er bereits für Rudolf Körner sechs Jahre früher genehmigte Linienführungen, doch bezüglich des Nutzungszwecks ging er anders heran. Er, seine Gesellschafter bzw. Bevollmächtigten stellten die Personenbeförderung in den Vordergrund. Der Gütertransport war zunächst nicht vorgesehen, aber auch nicht explizit ausgeschlossen, wie der Blick in die Konzessionsurkunde zeigt.

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Bild 2:
Auszug aus der Konzessionsurkunde für die Errichtung einer Pferdeeisenbahn in Chemnitz vom 15. Juli 187
9.

Die im § 26 genannte Option wurde nicht gezogen. Somit gab es auch keine Fahrzeuge zum Gütertransport zu Zeiten der Pferdebahn. Bleibt noch die Frage, ob es zu Pferdebahnzeiten möglicherweise einen Wagen für Arbeitszwecke gegeben hat.
Gemäß § 1 "Regulativ für die Pferde-Eisenbahn der Stadt Chemnitz" vom 24. Mai 1880 mussten die Fahrzeuge über folgende Anschriften verfügen:

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Bild 3:
Auszug aus dem Regulativ für die Pferde-Eisenbahn der Stadt Chemnitz vom 24. Mai 1880, § 1.


Für etwaige Arbeitswagen liegen keine Belege in Bildform vor. Alle 25 bis 1892 beschafften Pferdebahnwagen wurden als Beiwagen für den elektrischen Straßenbahnbetrieb übernommen. Es soll zu Pferdebahnzeiten aber mehrere Kastenwagen, zwei Schneefegen (?), einen Salzwagen sowie einen Schlitten und einen hölzernen Keilpflug gegeben haben.
Aus der Aufstellung geht hervor, dass nicht alle diese Fahrzeuge schienengebunden waren.

Arbeitsfahrzeuge in den frühen Jahren des elektrischen Betriebes ab 1893/94 – Fahrzeuge ohne Nummer

Wie schon im Regulativ für die Pferde-Eisenbahn der Stadt Chemnitz so wurde auch in der Bahnordnung für die Straßenbahn der Stadt Chemnitz vom 26. Februar 1894 und deren Nachfolger festgeschrieben, mit welchen Angaben die Wagen zu beschriften waren.

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Bild 4:
Auszug aus der Bahnordnung für die Straßenbahn der Stadt Chemnitz vom 26. Februar 1894, § 1. Trotz elektrischem Betrieb spricht man immer noch vom Straßen-Pferdebahnwagen.

Auch im zweiten Nachtrag zur Konzessionsurkunde vom 15. Oktober 1892 wird festgeschrieben, dass die zukünftig elektrische Straßenbahn dem Personenverkehr vorbehalten ist. Güterverkehr (eigener oder für Dritte) bedarf einer gesonderten Genehmigung und ist somit nicht ausgeschlossen.


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Bild 5:
Auszug aus dem zweiten Nachtrag zur Konzessionsurkunde vom 15. Oktober 1892, § 1.


Beim nunmehr bis 1893/94 gewachsenen Streckennetz stellte sich insbesondere im Winter die Frage der Schneeberäumung.

Für den Betrieb im elektrifizierten Netz wurde bereits 1893 eine Motorschneefege als erstes motorgetriebenes Arbeitsfahrzeug beschafft. Gebaut wurde das hochbeinige und mit Holzrahmen ausgestattete sowie ungefederte Fahrzeug von der Maschinenfabrik CYKLOP Mehlis & Behrens in Berlin.

https://abload.de/img/forum-bild6ahj4u.jpg

Bild 6:
Ansicht der 1893 gelieferten Schneefege aus der Maschinenfabrik CYKLOP. Hier noch ohne Nummer lief die Schneefege bis 1910 unter der Nummer 105, ab 1910 unter der Nummer 400. Gekuppelt ist sie mit einer gleichfalls nummernlosen, offenen Lore für Bahndienstzwecke.


Auf dem Foto ist entgegen § 1 der Bahnordnung keine Wagennummer am Fahrzeug erkennbar. Hatte das Fahrzeug wirklich keine Wagennummer? Offenbar ja. Bekannt ist, dass das Fahrzeug im Jahre 1910 von der Nummer 105 in die 400 umgezeichnet wurde. Aber wann erhielt es die Nummer 105 und nicht 101 als erstes Arbeitsfahrzeug?
Ein Teil der Lösung lässt sich im Umzeichnungsplan von 1899 finden. In diesem Jahr wurde der, bis dahin gewachsene Fahrzeugpark nummernmäßig teilweise neu geordnet.

Betrachten wir hierzu einmal den Fahrzeugbestand am Ende des Jahres 1900.
Triebwagen:
· Nr. 1-101 Baujahr 1893 bis 1900
· Nr. 105-106 Schneefegen Baujahr 1893/98
· Nr. 210-219 als Nachlieferung später im Jahr 1900

Beiwagen:
· 110-119 Sommerbeiwagen Baujahr 1898/99
· 120-125 kombinierte Personen-/Gepäckwagen der Vorortbahn nach Reichenbrand, 1898
· 126-156 vormalige Pferdebahnwagen
· 157-170 Beiwagen Baujahr 1900


Vergleicht man die Nummerngruppe der Trieb- und Beiwagen erkennt man die freien Stellen von Nr. 102 bis 109. In diese Lücke fügte man die Motorschneefegen ein. Somit hat die 1893er Schneefege offenbar erst um 1899/1900 die Wagennummer 105 erhalten und diese bis 1910 behalten. Ob und was genau mit den Nummern 102-104 belegt wurde ist nicht überliefert.

1934 wurde die Motorschneefege in einen Schneefege-Beiwagen ohne Kastenaufbau umgebaut. Als Solcher wurde das Fahrzeug unter der Nummer 1010 bis 1975 eingesetzt.
Die letzte Hauptuntersuchung datierte auf das Jahr 1971, die letzte Zwischenuntersuchung auf den 27. August 1974. Das erste Heimat-Depot 1893 war Kappel, sein letztes 1975 der Bf. Altendorf.

https://abload.de/img/forum-bild78tkpi.jpg

Bild 7:
Abw 1010 im Bf. Leninstraße am 19. Juli 1964.


1898 und 1910 folgten noch zwei weitere Schneefegen (Nr. 106 + 107) gebaut von der Aktiengesellschaft für Eisenbahn- & Wagenbau, Breslau. Diese verfügten aber über einen stählernen Rahmen. Von der 1898 gebauten Schneefege (Nr. 106) ist kein Foto aus der Zeit der Lieferung bzw. der ersten Einsatzjahre bekannt.
Von der Schneefege 107 liegt ein Foto vom Lieferzustand vor. Das Fahrzeug verfügte über einen 50 PS-Motor. Dieser erlaubte eine Höchstgeschwindigkeit von ca. 12km/h. Für das Fahrzeug wurden 11640,-Mark berechnet (Geschäftsbericht 1910).
Schaut man genau hin erkennt man die geschlossenen Perrons sowie die Schiebetür. Dieser Wagen war somit das erste Triebfahrzeug mit geschlossenen Perrons in Chemnitz. Bei den Wagen für den Personenverkehr begann die Verglasung der Perrons erst im Jahre 1914 mit Triebwagen 62.

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Bild 8:
Ansicht der Schneefege 107 im Ursprungszustand von 1910.


Schaut man sich das Foto 6 näher an, erkennt man auch eine Lore hinter der Schneefege. Diese Loren trugen offenbar keine Nummern. Bezüglich des Bodenrahmens und der Achshalter kann man davon ausgehen, dass hier ein vormaliger Pferdebahnwagen als Spenderfahrzeug diente. Alle 25 Chemnitzer vormaligen Pferdebahnwagen wurden ab 1894 als Beiwagen weiterverwendet und in die Serie 51-75 ungezeichnet.

Im Jahre 1897 konnten sechs vormalige Pferdebahnwagen aus anderen Betrieben
· 3x aus Bromberg aus der Serie 50-55 (Herbrand, 1888-1892)
· 1x aus Danzig, Nr. 24 (1873)
· 2x aus Halle/Saale aus Serie 1-16 (Scandia-Randers, 1882)
als Gelegenheitskäufe übernommen werden. Sie wurden fortfolgend an die Chemnitzer Wagen mit den Nummern 76-81 eingereiht.

1899 waren somit 31 Stück vormalige Pferdebahnwagen als Beiwagen verfügbar.Bei der Neunummerierung 1899 wurden alle in die Serie Bw 126-156 umgezeichnet. Das heißt aber nicht, dass alle Wagen für ihren ursprünglichen Zweck noch im Einsatz gewesen sein müssen.
Bis zur nächsten Umzeichnung im Jahre 1911 reduzierte sich der tatsächlich vorhandene Bestand auf 24 Stück.

Die ausgemusterten Wagen wurden nicht komplett abgebrochen, sondern nachweislich für andere Zwecke weiterverwendet. Sie liefen möglicherweise unter ihren bisherigen Beiwagennummer weiter, ohne dass diese angeschrieben war. Es gab bis etwa 1908/09 eine größere Zahl von Arbeitsbeiwagen bzw. Loren angeblich ohne Nummer. Es kann aber auch sein, dass diese umgenutzten Wagen nicht unter einer Nummer, sondern unter dem neuen Verwendungszweck geführt wurden. Beweisen lässt sich diese These gegenwärtig nicht, da hierzu keine Unterlagen mehr vorhanden bzw. bekannt sind.

Die Serie der „Nummernlosen“ lässt sich mit zwei weiteren Beispielen fortsetzten

1. Sprengwagen
Um die Staubentwicklung zu begrenzen, wurde für das Befeuchten der Straßenoberfläche im Gleisbereich ein Sprengwagen vorgehalten. Auch hier diente der Bodenrahmen eines abgebrochenen Pferdebahnwagens als Basis.


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Bild 9:
Ansicht des Bf. Kappel mit Triebwagen 83 und dem nummernlosen Sprengwagen. Im Bild sind die wichtigsten Gebäude wie das Dienstgebäude/Expedition von 1880 (links), die Wagenhalle von 1893 (rechts) sowie die Werkstatthalle von 1897/98 (Mitte) erkennbar. An der Längsseite der Wagenhalle sind Bauarbeiten im Gange. Diese dienen der Errichtung eines zunächst einstöckigen Anbaus und lassen die Aufnahme auf das Jahr 1898 datieren
.

2. Montagewagen für die Fahrleitung (Turmwagen)
Für die Fahrleitungsmontage existierten in den Jahren 1900 bis 1905 bis zu fünf schienenfahrbare Turmwagen auf Basis von abgebrochenen vormaligen Pferdebahnwagen.


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Bild 10:
In den Jahren ab 1912 (Triebwagen 119 bis 1912 Tw 227) steht einer der Turmwagen am Zaun des Bf. Kappel. In Bildmitte das neue Verwaltungsgebäude aus dem Jahre 1901. Im Vergleich mit Bild 9 ist am linken Bildrand unter den Bäumen an der Wagenhalle die Treppe des 1898 angefügten Anbaus erkennbar.


Wie aus den gezeigten Beispielen hervorgeht, war schon frühzeitig ein recht umfangreicher Park an Arbeits- und Sonderfahrzeugen in Chemnitz vorhanden. Eine gelegentliche Nutzbarmachung zum Transport von Gütern oder Material erfolgte aber nur für den eigenen Bedarf. Eine Genehmigung für gewerblichen Güterverkehr holte man nicht ein. Ob ein möglicher Bedarf generiert hätte werden können, bleibt offen.

Im Jahre 1901 wurde ein vierter Nachtrag zur Konzessionsurkunde vom 15. Juli 1879 verfasst. Die Nachträge legitimierten Verfahrensweisen oder Vorhaben, welche sich bereits herausgebildet haben oder die neu eingeführt werden sollen. Im §1 des vierten Nachtrages zur Konzessionsurkunde gab es erstmals mehr als einen Satz zu Gütertransporten und offeriert auch, dass diverse Transportloren vorhanden waren.


https://abload.de/img/forum-bild1188jez.jpg
Bild 11:
Auszug aus dem IV. Nachtrag zur Konzessionsurkunde vom 15. Juli 1879 die Straßenbahn in Chemnitz betreffend, vom 23. Mai 1901. In §1 wird der Güterverkehr für eigene Zwecke legitimiert.


An dieser Stelle soll der Blick in Vor - und Frühgeschichte des Teil I enden. Teil II wird sich demnächst mit dem ersten Güterverkehr für Dritte beschäftigen.

Blaulicht

Allerbesten Dank für diesen Einblick in die Frühzeit des Chemnitzer Straßenbahnbetriebes aus ungewöhnlicher Perspektive. Bilder von frühen Arbeitswagen aufzutreiben ist eine Mammutaufgabe, meist sind es ZUfallsablichtungen. Großartig auch die Dokumentenrecherche, eine Mühe, dies sich heute viele nicht mehr machen.

Wirklich Klasse...