DREHSCHEIBE-Online 

Anzeige

HIER KLICKEN!

 05 - Straßenbahn-Forum 

  Neu bei Drehscheibe Online? Hier registrieren! Zum Ausprobieren und Üben bitte das Testforum aufsuchen!
Aktuelle Bilder, Berichte, News, Fragen und Antworten zum Thema Straßenbahn - Sonstiger ÖPNV ist gestattet.
Historische Aufnahmen sind im Historischen Forum willkommen. Hier befindet sich das Bus-Forum (auch für O-Busse).
60 bzw. 140 Jahre Regelspur/Straßenbahn - Teil 1

Hallo,

Am 22. April sowie 8. Mai 2020 jährten sich zwei, für die Chemnitzer Straßenbahn bedeutungsvolle Tage zum 140. bzw. 60. Mal.
Von nunmehr 140 Jahren nahm die Pferdebahn Chemnitz ihren Betrieb mit der damaligen Spurweite von 3 Fuß (aufgerundet 915mm) auf. Zum anderen begann am 8. Mai mit dem Abschnitt Uhlestraße – Altchemnitz das Zeitalter der regelspurigen Straßenbahn in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz.

Im Folgenden soll keine geschichtliche Abhandlung stehen, sondern einmal kurz auf die unmittelbaren Anfänge, heute noch vorhandene Quellen sowie auf noch vorhandene Originalteile oder Bestandteile der Erstausstattung eingegangen werden.

1880-2020 – 140 Jahre Beginn des Straßenbahnzeitalters in Chemnitz

Ein erstes Pferdebahnprojekt wurde am 3. Januar 1873 vom Rat der Stadt Chemnitz in Form einer Konzession dem Chemnitzer Unternehmer Rudolph Körner genehmigt.

https://s12.directupload.net/images/200507/stfehzx3.jpg
https://s12.directupload.net/images/200507/7mjh48x3.jpg
https://s12.directupload.net/images/200507/l9iui3mj.jpg
Bild 1a: Auszüge aus der Konzessionsurkunde für das Pferdeeisenbahnprojekt des Rudolph Körner vom 3. Januar 1873, hier insbesondere §4 Zweck und Ausführung der Pferdeeisenbahn.

Wäre dieses Projekt realisiert worden, hätte Chemnitz eine Pferdeeisenbahn bekommen, wobei der Deutungsschwerpunkt auf Eisenbahn im rechtlichen Sinne liegt. Die eigentliche Besonderheit lag aber darin, dass diese Bahnanlage eingleisig und regelspurig erstellt worden wäre. Vom Produktenbahnhof an der Dresdner Straße sollten Staatsbahnwagen ohne Umladen übergehen können.

"§4 Da bei der Pferdeeisenbahnanlage in Berücksichtigung der Verhältnisse der Stadt das Hauptgewicht auf den Gütertransport zu legen ist, so hat die Schienenanlage in allen Straßen, deren Breite dies gestattet, so zu erfolgen, daß der
Transport der Güter, ohne vorgängige Umladung, in den Staatsbahnwagen geschehen kann. Personentransport ist selbstverständlich deshalb nicht ausgeschlossen."


Als Kraftquelle waren Pferde vorgesehen. Letztlich fanden sich unter den doch wohlhabenden Industriellen und somit angedachten Anschließern nicht genügend Geldgeber für dieses Projekt.

https://s12.directupload.net/images/200507/3puwu7rx.jpg
Bild 1b: Stadtplan 1872 Chemnitz mit Pferdeeisenbahnprojekt von Rudolph Körner und der in der Konzession von William Roebuck realisierten schmalspurigen Pferdebahn.

Aus dem vorgesehenen Streckennetz wurde 1879 die dann realisierte schmalspurige Pferdebahn entlang der Zwickauer Straße und weiter zum Bahnhof abgeleitet und in Form einer Konzession dem Engländer William Roebuck gestattet.
Für dieses Vorhaben, war natürlich wieder Geld notwendig und dies suchte der umtriebige Engländer nicht bei den Chemnitzer Unternehmern, sondern im britischen Einflussbereich. Hierfür wurde in London die Gesellschaft „The District of Chemnitz Tramway Company Ldt.“ gegründet.

https://s12.directupload.net/images/200507/tp7rq4y2.jpg
Bild 2: Ausschnitt aus dem in Dublin aufgelegten Freeman´s Journal vom 26. August 1879.

In der Konzessionsurkunde von 1879 wurde in den Ausführungsbestimmungen übrigens keinerlei Ausführungen zur Spurweite gemacht. Es oblag dem Unternehmer demnach selbst diese festzulegen. Klar, dass er da die billigste Variante wählte und die Anlage nach seinem Verständnis in der für das britische Einflussgebiet gängigen Spurweite von 3 Fuß einreichte und vom Rat gestattet bekam.
Seitens der Stadt Chemnitz wurde bezüglich der Ausführung der Bahnanlage in § 9 lediglich festgelegt, dass diese bündig mit der Oberfläche abschließen musste und der Gleisbereich sowie ein beidseitiger Streifen neben den Schienen von 50cm Breite gepflastert werden mussten.

https://s12.directupload.net/images/200507/mzqnu3ts.jpg
Bild 3: §9 der Konzessionsurkunde
Im Gegensatz zur Körnerschen Konzession von 1873 stand diesmal der Personenverkehr im Vordergrund. Güterverkehr war nicht ausgeschlossen worden, bedurfte aber einer besonderen Genehmigung durch den Rat - § 26.

https://s12.directupload.net/images/200507/mm89qce4.jpg
Bild 4: §26 der Konzessionsurkunde

Am Donnerstag, dem 22. April 1880 war es dann soweit. Die Pferdebahn nahm auf ihrer ersten Teilstrecke zwischen Nicolaibrücke (heute Falkeplatz), Poststraße (heute Teil der Bahnhofstraße), Johannisplatz, Königstraße (heute Teil der Straße der Nationen), Carolinenstraße (heute Carolastraße) zum Bahnhof (heute Hauptbahnhof) den Betrieb auf. Die zunächst vier vorhandenen Wagen wurden nach Betriebsschluss ausgegleist und im Hof der Posthalterei gegenüber dem Hauptbahnhof (später Standort des Bahnhof-Hotel Continental) untergestellt. Die Pferde stellte anfangs ebenfalls die Posthalterei, bis im September/Oktober 1880 das Depot Kappel genutzt werden konnte.

https://s12.directupload.net/images/200507/m3c4pmxw.jpg
Bild 5: Bekanntmachung aus dem Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger vom 19. April 1880

https://s12.directupload.net/images/200507/vcqwgxoa.jpg
Bild 6: Bekanntmachung zum ersten Regulativ die Pferdebahn betreffend vom 21. April 1880

Soweit kurz zum Werdegang bis zum Pferdebahnbetrieb. Aber was blieb davon letztlich übrig? Neben Akten und Fotos oder dem Expeditionsgebäude und Teilen der Stallanlage von 1880 im Depot Kappel befinden sich in der Sammlung des Straßenbahnmuseums auch noch zwei weitere Artefakte aus der Pferdebahnzeit. Beide sind bislang noch nicht in der Ausstellung zu sehen, sollen aber in diesem Jahr noch aufgebaut werden.

Bis 1927 wurden die letzten noch vorhandenen ehemaligen Pferdebahnwagen ausgemustert. 1926 erfolgte nochmals eine Zusammenfassung in der Nummerngruppe als Bw 551-568. Demnach waren zu diesem Zeitpunkt noch 18 Wagen vorhanden, d.h. aber nicht dass die Wagen auch einsatzfähig waren.

Einige der Wagenkästen wurden danach als Gartenlauben verkauft. Ein solches Exemplar befand sich seitdem auf einem Grundstück in Chemnitz/Karl-Marx-Stadt-Schönau an der Zwickauer Straße.

https://s12.directupload.net/images/200507/4hwaagwl.jpg
Bild 7. Pferdebahnwagen ehemals Beiwagen 553

Im Jahre 1988 sollte der Wagenkasten abgebrochen werden. Mitgliedern der damaligen Arbeitsgemeinschaft Straßenbahnfreunde Karl-Marx-Stadt gelang es zumindest einen Teil dieses Wagenkastens zu bergen. Eine Bergung des kompletten Wagenkastens war wegen des Gesamtzustandes sowie der technischen Basis nicht möglich.
Man entschied sich seinerzeit den Wagenkasten zu durchtrennen und eine Perrontrennwand mit Schiebetür zu bergen. Diese wurde dann in die damaligen Räumlichkeiten im Bf. Altendorf verbracht. Beim Umzug 1995 nach Kappel kam das Exponat mit. Es stellte sich aber zunächst heraus, dass das Teil mehr oder weniger im Weg stand.

https://s12.directupload.net/images/200507/vxdojugg.jpg
Bild 8a: Skizze Pferdebahnwagen

https://s12.directupload.net/images/200507/icq5d92a.jpg
Bild 8b: Perrontrennwand im Original

Im Jahre 2002 wurde das Industriemuseum Chemnitz an der Kappler Drehe seiner Bestimmung übergeben. Für mehrere Jahre bis zum generellen Umbau der dortigen Ausstellung fand die Perronwand einen Platz im Industriemuseum. Mittlerweile sind wir im Straßenbahnmuseum soweit, dass dieses Exponat bei uns gezeigt werden kann.

Ein zweites Originalteil ist ein Stück Schiene aus der Pferdebahnzeit.
Durch den Unternehmer Frederick Winby und den Hüttenmeister George Levick wurde Mitte der 1870er Jahre ein Verfahren entwickelt, welches das Walzen von, aus der Kopfschiene abgeleiteten, einteiligen Rillenschienen ermöglichte. Mit diesem Walzverfahren wurde in den Kopf der Schiene durch eine seitliche Nutrolle im Walzengerüst eine flache Rille gedrückt. Am 1. Dezember 1877 wurde darauf das Patent Nr. GB 4537 erteilt. Rillenschienen nach Winby-Levick-Patent wurden erstmals 1878 bei der Nottingham and District Tramways Company Limited verwendet. Das Fertigungsverfahren war zu seiner Zeit Spitzentechnologie.
Im Deutschen Reich gelang es erstmals Ende 1879 in der Hütte „Phoenix“ in Ruhrort bei Duisburg gleichartige Schienen (Phoenix-Profil) zu walzen.
Da ein Engländer die Konzession zur Errichtung der Pferdebahn in Chemnitz erhalten hatte, war diesem natürlich daran gelegen auch das notwendige Schienenmaterial von dort zu beziehen. Für die Finanzierung des Pferdebahnvorhabens gründete man im August 1879 in London THE TRAMWAY DISTRICT OF CHEMNITZ COMPANY LDT. Einer der Direktoren war J. W. Greig. Er war zugleich Direktor der North Metropolitan Nottingham & Southampton Trams Companies und somit jenes Unternehmens, welches Rillenschienen nach Winby-Levick-Patent erstmals 1878 einsetzte. Vertrieben wurde dieses Schienensystem von der Firma John Kerr & Co., London. Die Chemnitzer Pferdebahn war somit beim verwendeten Schienenmaterial hochmodern.

Das Gleissystem nach Winby-Levick-Patent wurde bei der Chemnitzer Straßenbahn 1880 erst- und einmalig im Deutschen Reich angewandt.

https://s12.directupload.net/images/200507/fud5mniw.jpg
Bild 9a: Gleisskizze

https://s12.directupload.net/images/200507/4ui7wu4g.jpg
Bild 9b: Oberbausystem Winby & Levick im Original, gelbe Anbauten wurden zur Vervollständigung neu gefertigt

Mit Rücksicht auf die geringe Fußbreite wurden Unterlegplatten gewissermaßen als Langschwellen unter dem Schienenfuß befestigt.
Die Platten unter dem Schienenfuß sollten das Versacken der Pflastersteine und dem mangelhaften Pflasteranschluss begegnen. Dies machte bei der geringen Schienenhöhe die Benutzung sehr niedriger Pflastersteine notwendig, da zwischen diesen und den Eisenplatten eine immerhin mehrere Zentimeter hohe Kiesschicht unerlässlich war. Die Schienen wurden mit Haltern auf die Platten geklemmt.

Die bei uns auszustellenden zwei Schienenstücke waren ursprünglich ein Stück. Wie das Walzzeichen verrät wurde es 1880 im Bessemer-Stahlwerk Sheffield produziert.

https://s12.directupload.net/images/200507/tmoimhd3.jpg
Bild 9c: Teilansicht Walzzeichen: „SHEFFIELD BESS. STEEL WINBY & LEVICK Patent 23 80“

Doch wo fand man dieses Schienenstück?
Im September 1986 fanden im Betriebshof Kappel Grabungen im Zusammenhang mit Kanalarbeiten statt. Diese sollten bergmännisch mit einer Schildbohrmaschine erfolgen. Um Schäden an der Maschine zu vermeiden galt es zuvor das Gelände in Arbeitsrichtung zu sondieren. Neben dem Gebäude des einstigen Pferdestalls, zuletzt Schmiede wurde eine alte Fäkaliengrube vermutet und gefunden. Die Schiene mit der zugehörigen Unterlagsplatte war hier als Träger der Überdeckung eingebaut. Die Grube stammte noch aus Pferdebahnzeiten und wurde später einfach überdeckelt.

https://s12.directupload.net/images/200507/9zp4qyw6.jpg

https://s12.directupload.net/images/200507/vxadoi52.jpg
Bild 10a-b: Auszug aus der Bauakte

Soweit zum Thema Pferdebahn und deren Relikte. Bis zur Museumsnacht im Oktober 2020 sollen die Artefakte für die Besucher im Museum aufgebaut sein.
Damit endet der Teil 1.

MfG.

Blaulicht