Hallo an alle Freunde von rustikalen Straßenbahnbetrieben
Diese drei Teile gibt es
Teil 1: Einleitung
Teil 2: Ostteil des Netzes [
www.drehscheibe-online.de]
Teil 3: Westteil des Netzes [
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„Konotop? Kenne ich nicht. Wo liegt das?“, war die Aussage eines Ukrainers in der Hauptstadt Kiew während eines Gesprächs zwischen mir als Tourist und eines interessierten Einheimischen.
Das sagte schon viel über mein gewähltes Reiseziel aus, wenn sogar schon der Ukrainer nichts mit dem Namen anfangen kann.
Konotop; nur wirkliche Kenner der Straßenbahnen im tiefen Osten Europas können mit diesem Namen etwas anfangen und werden vielleicht wie ich leuchtende Augen bekommen. „Das ist doch dieses Dorf mit seiner Straßenbahn“. Oder so ähnlich würde es vermutlich heißen.
Schon lange stand dieser Betrieb auf meiner Wunschreiseliste. Beinahe sah es so aus, als ob dieser Reiseplan begraben werden musste wegen plötzlicher Stillegung des Straßenbahnbetriebes. Aber es kam zum Glück doch anders und die Reise konnte wie geplant angetreten werden.
Nun drei Monate nach meinem Besuch im April 2019 tut sich erstaunlich positives in diesem unscheinbaren Betrieb. Genug Anlass einen mehrteiligen Bildbericht vom Zustand April 2019 über den Straßenbahnbetrieb von Konotop zu schreiben.
Und los geht’s....
Wie bei all meinen Reisen bevorzuge ich den Landweg und benutze dafür so weit es irgendwie möglich ist die Eisenbahn.
So bestieg ich Ende April 2018 im heimischen Sachsen den Zug und fuhr zunächst über Polen bis nach Krakau.
Nach einer Zwischenübernachtung ging es weiter per Bahn ins ukrainische Lviv.
Dort erfolgte schon das erste Highlight der Reise. Denn ab Lviv vermied ich die schnelle ca. sechs Stündige Verbindung per IC nach Kiew. Das war mir zu langweilig. Stattdessen buchte ich mir ein erste Klasse Singleabteil in einem Nachtzug, der die Strecke Lviv-Kiew in gemütlichen 15 Stunden hauptsächlich über eingleisige nicht elektrifizierte Strecken zurücklegt. Eisenbahnromantik pur!
Vorn am Zug dann sogar die Wunschlokomotive. Eine alte Doppellokomotive 2M62U der Lokomotivfabrik Luhansk.
Der Zug Nr.142 brachte mich über folgende Route nach Kiew: Lviv-Tscherwonohrad - Wolodymyr-Wolynskyj – Kowel – Antoniwka – Sarny – Korosten – Schytomyr – Kiew.
Gerade für Bahnliebhaber, für die der Weg das Ziel ist, kann diese Fahrt sehr empfohlen werden.
Abfahrt in Lviv war um 14:24 und Ankunft in Kiew am nächsten Tag um 05:40.
Gemächlich windet sich die lange Schlange durchs ukrainische Hinterland. Hier kann man wunderbar entspannen.
Zweierabteil als Single gebucht. Alles schön Sauber und vor allem viel Platz und gemütlich.
Der Imbisswagen. Kurze Zeit später wurde er geöffnet und war gut besucht. Auch ein warmes Abendbrot konnte man sich gönnen.
Am Bahnhof Antoniwka konnte man ein Blick auf die bekannte Schmalspurbahn werfen, bevor es durch die Nacht im gemütlichen Schlafabteil ging.
Am nächsten Morgen pünktliche Ankunft in Kiew. Ab hier hier fuhr ich nach vier Stunden Aufenthalt mit einer „Express-Elektropojezd“ weitere vier Stunden bis zum Ziel in Konotop.
Ostereiseverkehr in Kiew. Mein Elektropojezd Zug Nr. 888 mit dem Ziel Vorogba fährt ein.
Durch den Osterreiseverkehr konnte ich für diesen Zug kein Ticket mehr buchen und wäre an diesem Tag nicht mehr vernünftig nach Konotop gekommen. So ging es auch vielen anderen Fahrgästen. Aber zum Glück wurde dieses Problem dann „ukrainisch“ gelöst. Und so durfte man gegen ein geringes Entgelt (3,80€) für den Zugbegleiter dann ohne Ticket auf einem Stehplatz mitfahren ;-). Es war voll, unbequem, aber hauptsache man kam noch mit!
Ankunft in Konotop
Pünktlich um 13:15 komme ich in Konotop an. Hier wirkt es noch ziemlich belebt und sieht auch aus wie ein richtiger Bahnhof mit viel Stadt dahinter. Aber das sollte sich gleich ändern!
Nach etwas Aufenthalt wird der Express Zug Nr. 888 (rechts im Bild) seine Fahrt nach Vorogba fortsetzen.
Das gut gepflegte Empfangsgebäude von Konotop.
Es ist für mich immer wieder ein spannendes Ritual, eine neue Stadt kennen zu lernen und zu betreten. Natürlich traditionell durch ein Empfangsgebäude am Bahnhof als symbolischer Eingang zur Stadt. Was erwartet mich auf der anderen Seite? Ist der Straßenbahnbetrieb tatsächlich in Betrieb? Oder ruht er wieder so plötzlich wie im letzten Jahr?
Der Straßenbahnbetrieb von Konotop gehört leider mit zu den Betrieben der ex Sowjetunion, der nach und nach langsam ausblutet und vielleicht bald nicht mehr existieren wird. So wie viele andere kleine und größere ex sowjetische Betriebe vor ihm.
Der langsam aber sicherer Verfall hatte im letzten Jahr 2018 seinen vorläufigen Höhepunkt. Am 7. Juni 2018 wurde er „vorübergehend“ Eingestellt wegen hoher Verschuldung.
Es gab darauffolgende Streitigkeiten zwischen der Stadtregierung und dem Straßenbahnbetrieb mit seiner Belegschaft. Auch der Zustand der Infrastruktur wies Sicherheitsmängel auf, weswegen die Betriebserlaubnis entzogen wurde. Es folgten Proteste von Bevölkerung und Belegschaft.
Durch den ausbleibenden Fahrbetrieb fingen die Anlagen an schnell zu verwaisen und zu verkrauten.
Fast war das Schicksal der Straßenbahn in Konotop besiegelt und sollte wie viele andere Betriebe ebenfalls vom „vorübergehend eingestellt“ zu „Abriss“ verurteilt werden.
Jedoch hat die Bevölkerung in Konotop einen ganz besonderen emotionalen Bezug zu „Ihrer“ Straßenbahn, der mit ihrer kuriosen Eröffnungsgeschichte zusammenhängt. (dazu mehr im nächsten Teil).So schnell haben sie Ihre Bahn nicht aufgeben wollen. Durch die anhaltende Empörung bei Bevölkerung und Personal über die Stillegung der Straßenbahn sollte es tatsächlich noch einmal ein einlenken aller Beteiligten geben. Kompromisse wurden gefunden, Notreparaturen erledigt und Anlagen wieder vom Unkraut befreit.
Am 22.09.2018 nach drei Monaten Betriebsunterbrechung wurde ein sparsamer Betrieb auf den drei Linien wieder aufgenommen!
Im Frühling 2019, rund ein halbes Jahr nach der Wiederaufnahme des Betriebes stehe ich hier am Bahnhof von Konotop und erwarte mit Spannung die nächsten Stunden und Tage in dieser Stadt.
Und so trete ich Ehrfüchtig durch das Empfangsgebäude auf die andere Seite....
Herzlich Willkommen in Konotop! Der Bahnhofsvorplatz. Völlig unspektakulär und kaum bebaute Umgebung. Schon hier wird schnell klar, das wird interessant und Abenteuerlich! ;-)
Wer kennt sie nicht? Die bekannten Bahnhofsvorplätze von Leipzig, Karlsruhe, Düsseldorf, Brno und viele andere große Städte in Europa? Wo auf viergleisigen Haltestellen im Minutentakt Straßenbahnen in alle Stadtteile fahren. Wo Scharen an Reisenden aus dem Bahnhof strömen und sich in alle Richtungen verteilen.
Das gibt’s natürlich auch in Konotop!Aber alles eine Nummer kleiner. Viiieeeel kleiner ;-) ….!
Die „zentrale“ Straßenbahnhaltestelle vor dem Bahnhof ist nichts weiter als eine Kreuzungsstelle einer eingleisigen Strecke! Es gibt keine Bahnsteige, keine Fahrpläne und nicht einmal ein Haltestellenschild. Noch zwei weitere etwas unwissend dreinschauende Passantinnen rechts im Bild stehen genau so ratlos da wie ich und wissen nicht so recht ob da nun was gefahren kommt oder nicht. Natürlich fuhr derweil schon was, aber eben keine Straßenbahnen sondern dafür fleißig die überall typischen Marschrutka-Sammelbusse. Aber die will ich ja gar nicht sehen ;-).
Und dann nach ein paar Minuten die große Erleichterung nach der langen Anreise! Die Gleise bogen sich unter zwei rostigen KTM-5 die über den Platz polterten und ein bisschen farbiges Leben in die Szenerie brachten.
Nun gibt’s kein zurück mehr! Die Stadt und sein Straßenbahnbetrieb will von mir erkundet werden.
Zwei Tage und drei Nächte habe ich mir dafür Zeit genommen.
In den folgenden Tagen stelle ich Euch hier im Forum einen faszinierenden kleinen Betrieb vor, der alles andere als „null acht fünfzehn Plattenbau mit Straßenbahn“ zu bieten hat.
hier gehts zum Teil 2: [
www.drehscheibe-online.de]
Bis dahin schöne Grüße von
worldtradesurfer
5-mal bearbeitet. Zuletzt am 2019:07:30:08:29:27.