Ich hatte es im letzten Beitrag zur Hertelstraße ja durchklingen lassen, dass wir uns für den nächsten Teil der Betriebshof-Reihe weit in den Dresdner Osten begeben werden. Die Erforschung der Geschichte des ehemaligen Straßenbahnhofs der Dresdner Vorortsbahn war mir schon lange eine Herzensangelegenheit, zumal die Informationen hierzu sehr rar gesät sind. Da ich nach den Erfahrungen mit dem Neugruna-Beitrag auch gern davon abkommen möchte, wild zu spekulieren, wenn nicht alle möglichen unerschlossenen Quellen ausgeschöpft wurden, hatte ich das eigentlich schon lange angedachte Kapitel zum Straßenbahnhof Leuben erst einmal aufgeschoben. Wie sich zeigen sollte die richtige Entscheidung, denn ich wurde bei der Recherche ganz kürzlich wirklich fündig und nun kann ich tatsächlich mit handfesten Inforationen, Fakten und Dokumenten dienen. Außerdem habe ich erstmals eine grafische Rekonstruktion der Baulichkeiten angefertigt, entstanden nach Originalaufrissen in einer Bauakte der Gemeinde Leuben, die ich im Stadtarchiv finden konnte. Ihr könnt ich vorstellen, was für einen Heureka-Moment man da erlebt. Manchmal muss man halt über Umwege gehen…
Das folgende Material stammt, wenn explizit genannt, wiederum von Rainer Bertram, Ingolf Menzel, Ralf Dörschel, Klaus Pokorny, dem DVB-Archiv, der Fotothek - und ansonsten aus meinem eigenen Fundus…
---
Der Industrielle Oskar Ludwig Kummer eröffnete Ende der 1880er Jahre in Niedersedlitz eine kleine elektrotechnische Fabrikation, die sich bald zu einem Großbetrieb entwickeln sollte. Ab 1894 firmierte das Unternehmen als Actien-Gesellschaft Elektricitätswerke (vormals O. L. Kummer & Co.) und machte sich besonders als Hersteller elektrischer und mechanischer Ausrüstungen für Straßenbahnwagen einen Namen. Ergänzend plante Kummer den Bau eines umfangreichen meterspurigen Vorort-Straßenbahnnetzes östlich von Dresden. Verwirklicht wurde letztlich nur die Ende 1899 eröffnete Dresdner Vorortsbahn zwischen Niedersedlitz und Laubegast, wegen der grünen Lackierung der Wagen alsbald als „Laubfrosch“ weitbekannt.
Personal vor dem Triebwagen 4 der Vorortsbahn, ein typischer Kummer-Einheitswagen, vor der Wartehalle am alten Endpunkt Niedersedlitz auf der heutigen Straße des 17. Juni, damals noch Güterbahnhofstraße, um 1900 in der ursprünglichen Lackierung. Das Gebäude ist heute nicht mehr vorhanden. Hier befindet sich heute die stadtwärtige Haltestelle „Försterlingstraße“.
Zunächst waren die anfänglich lediglich vier Triebwagen der Bahn noch im Kummerschen Werksgelände beheimatet. Hier diente ein Wagenschuppen als Unterkunft, wofür das am Werksgelände entlang führende Streckengleis mit den meterspurigen Werkbahngleisen verbunden wurde. Auf den Fotos der Wagenbauhalle aus einer Werbeschrift der Firma sind zukünftige Fahrzeuge für die Bielitz-Baialaer Lokalbahn in Schlesien zu sehen. Ob gerade diese Halle als provisorischer Bahnhof diente ist für mich noch offen, hier muss ich nochmal ran…
Aushangfahrplan der Vorortsbahn aus dem Jahr 1902, Marktplatz Leuben. Ein äußerst rares Dokument aus der Kummer-Zeit der Bahn. (Sammlung Pokorny)
Anno 1901, übrigens jenem Jahr, in dem obiger Werbebildband mit Fotos aus der noch jungen Geschichte der Firma ausgegeben wurde, musste Kummer Konkurs anmelden. In der Folge erwarb, mangels anderer Interessenten, die Gemeinde Leuben die Bahn. Da der Vertrag für die Halle im Werksgelände der bankrotten Kummer-Werke, aus denen 1903 das Sachsenwerk hervorging, im selben Jahr vom Insolvenzverwalter gekündigt wurde, musste die Gemeinde Leuben schnellstens Ersatz schaffen. So entstand an der Bahnhofstraße, der heutigen Stephensonstraße, ein erster, kleiner zweigleisiger Bahnhof in simpler Fachwerkbauweise. Aber Provisorien währen ja am längsten…
Das im Grundrissplan eingezeichnete Wohnhaus wurde nie gebaut, die nördlich anschließende Hallenerweiterung entstand 1906 in geänderter Form. Spannend ist die projektierte, aber gleichfalls nie umgesetzte Drehscheiben-Lösung der projektierten Nordhalle.
Fassadenaufrisse des Fachwerkschuppens, gezeichnet nach Originalplänen im Stadtarchiv Dresden.
Das einzige mir bekannte Foto der Fachwerkhalle wohl anlässlich der Eröffnung. Die Bauabnahme erfolgte nach Aktenlage am 16. September 1903.
1904 wurde aus der Gemeindebahn eine Gemeindeverbandsbahn, denn Kleinzschachwitz setzte sich vehement für einen Anschluss nach Niedersedlitz ein. Für die 1906 in Betrieb genommene Verlängerung genügten die vier Wagen der Erstausstattung nicht mehr, so dass aus Plauen/Vogtland drei kleinere Kummer-Triebwagen übernommen wurden. Bereits 1904 allerdings wurde es eng an der Bahnhofstraße, denn es gesellten sich zwei ehemalige Pferdebahnwagen aus Dresden dazu, von denen einer zum Salzwagen, einer zum Triebwagen 5 umgebaut wurde. Damit waren die sechs Stellplatze ausgebucht.
Zur Abhilfe wurde ab 1906 eine großzügige Erweiterung des Straßenbahnhofs Leuben verwirklicht. Dabei wurde die alte Fachwerkhalle in gleicher Form nach Norden auf vier Gleise verbreitert, noch heute erkennbar am asymmetrischen Dachfirst. Davor kam ein massives, formschönes Hallengebäude, das unmittelbar an der Straße abschloss.
Grundriss des Straßenbahnhofs Leuben mit dem Erweiterungsprojekt, nachträglich eingefügt ist der Einbau eines Schalthauses im Jahr 1913. Wegen des nicht vorhandenen Platzes an der Straße konnte keine Weichenstraße verlegt werden. Da dort auch kein Platz für die Schiebebühne bestand, wurde diese ins Innere ans Ende des Erweiterungsbaus gelegt, mit je einer Zufahrt über die Halle und das ergänzte Außengleis. Nur das nördliche Einfahrtstor bekam ein Gleis, das südlich blieb stets ein „Dummy“. Irritierend ist die Führung der Gleisbögen in die Ausweiche auf der Bahnhofstraße, denn in der Realität kreuzten sie sich nicht, vielmehr war das Hallengleis nach Norden, das Außengleis nach Süden angebunden. Ob die gezeigte Variante jemals so existierte? Ich kann mir gut vorstellen, dass die Änderung während des Baues erfolgte, denn mit der Kreuzung hätten sich die beiden Zufahrtsgleise u.U. gegenseitig blockiert.
Der Ursprungszustand des nördlichen Hallengleises, das vor dem Schalthaus-Einbau bis an die Straßenfassade führte.
Vollständige Fassadenabwicklungen des Straßenbahnhofs Leuben nach Erweiterung, entstanden nach Bauplänen und mit eingearbeiteten, von Fotos überlieferten Änderungen. Die baupolizeiliche Abnahme erfolgte am 10. August 1907.
Kummer-Triebwagen 7 in der Halleneinfahrt um 1907. Deutlich erkennbar ist die abweichende Gleiskrümmung im Vergleich mit dem Baugrundriss. (Sammlung R. Dörschel)
Grafische Darstellung der Bauetappen der Wagenhalle. 1913 gesellte sich der angesprochene Einbau eines Schalthauses in der Nordwestecke hinzu.
Der 1913 beschaffte Triebwagen 9 im Jahr 1916 vor dem Straßenbahnhof mit weiblichem Personal. (Sammlung I. Menzel)
Das Schwesterfahrzeug 10 im Inneren der Wagenhalle. (Sammlung R. Dörschel)
Blick entlang der Bahnhofstraße in nördliche Richtung mit der Ausweiche der Haltestelle „Straßenbahnhof Leuben“, um 1910. Am rechten Straßenrand ist die Wagenhalle mit dem heute nicht mehr vorhandenen Türmchen über der Einfahrt erkennbar.
Pläne für eine Güterstraßenbahn in Leuben (die ich noch erschließen muss) in den 1910er Jahren wurden ein Opfer des Krieges und der Inflation, so dass die großzügig ausgebaute Halle nie völlig belegt war. Außerdem hatte es Umspurungsbestrebungen für die Vorortsbahn spätestens seit der Kummer-Pleite 1901 gegeben. Nach der Eingemeindung Leubens 1921 und der damit verbundenen Betriebsübernahme der abgewirtschafteten Meterspurbahn durch die Städtische Straßenbahn konnte das Projekt ab 1924 in Etappen umgesetzt werden. Gleichzeitig übernahmen zunächst Triebwagen der Lößnitzbahn den sich von Laubegast etappenweise zurückziehenden Meterspurverkehr. Als die Bautrupps schließlich auch die Bahnhofstraße erreichten, mussten die Meterspurwagen auf den Niedersedlitzer Bahnhofsvorplatz und später nach Kleinzschachwitz umziehen, wo ein provisorisches Depot entstand. Bereits per Verfügung vom 6. Juli 1922 war die Bahnhofsverwaltung Leuben aufgelöst worden und die Vorortsbahn unterstand nun dem Bahnhof Tolkewitz.
Umbauarbeiten im Werkstattbereich nach Übernahme durch die Städtische Straßenbahn. Aus dem einstigen Lager mit Dachbodenzugang wurde ein Schaffnerraum.
Die ehemalige Vorortsbahn im Streckennetz der Städtischen Straßenbahn, 1926. Ab 24. November 1924 verkehrte die Linie 19 über die Leubener Straße und Stephensonstraße nach Niedersedlitz, zu der sich ein knappes Jahr später die 12 über die Neubaustrecke Seidnitz – Leuben gesellte. Die Rest-Vorortsbahn zwischen Niedersedlitz und Kleinzschachwitz ist seit dem Vorjahr ebenfalls stadtspurig, bedient wird sie von Tolkewitz aus.
Der Straßenbahnhof wurde, wohl mit identischer Gleislage, noch umgespurt, aber nicht mehr für den Linienbetrieb genutzt. Vielmehr füllte er sich mit abgestellten kleinen Zweiachsern, die allerorten aus den dunklen Winkeln hervorgekramt wurden und den Platz für die in Größenordnungen neu eintreffenden großen Normalwagen räumten. Alexander Arldt wusste zu berichten, dass im Winter 1924/25 auf dem Hof südlich der Halle auf provisorischen Auflegegleisen die in der kalten Jahreszeit ungenutzten Sommerbeiwagen abgestellt wurden, bevor sie in der Sommersaison 1925 letztmals zum Einsatz kamen.
Menselblattausschnitt, 1927. Die Gleislage entspricht noch den Meterspurzeiten.
Bis 1928 wurde der Straßenbahnhof noch als Abstellanlage genutzt, danach stand er leer und wurde ab Anfang der 1930er Jahre zunächst fremdvermietet, später an eine Chemiefirma verkauft. Akten offenbaren einen regen Schriftverkehr zwischen der Dresdner Straßenbahn AG als Vermieter und den Mietern, die sich über den miserablen Bauzustand beschweren: Das Dach war undicht, und der Putz bröckelte. Mit dem Verkauf war die Straßenbahnverwaltung das lästige Anhängsel los. 1932 war auch das Ende für die umgespurte Vorortsbahn gekommen, die nur sieben Jahre in dieser Form verkehrte.
Planausschnitt, 1938. Die Gleise in die Halle sind entfernt.
Später diente die Halle der Betriebsfeuerwehr des Sachsenwerkes und nach umfassender Sanierung in den 1990er Jahren zog die Johanniter-Rettungswache ein. Zustand der Halle Anfang der 1980er Jahre. Wann der Turm über der Einfahrt verschwand konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Die Schiebebühnen-Überbauung links wurde aufgeteilt, die Tore und großen Fenster entsprechend durch kleine Öffnungen ersetzt. (Foto: R. Bertram)
Blick entlang der Stephensonstraße mit der Haltestelle Guerickestraße (ehemals Straßenbahnhof Leuben), nahezu gleicher Blickwinkel wie auf der Ansichtskarte aus Vorortsbahn-Zeiten. Noch ist die Strecke eingleisig. (Deutsche Fotothek)
Ehemalige Wagenhalle der Vorortsbahn Anfang 1996, zu Beginn de Sanierungsarbeiten (Foto: R. Bertram)
Rainer Bertram konnte Anfang 1996 interessante Einblicke in die Halle gewinnen, wo auch über sechzig Jahre später die Relikte der Straßenbahnzeit unübersehbar waren. Die Übersicht zeigt zur besseren Erkennbarkeit die Standorte und Blickwinkel des Fotografen.
Blick auf das ehemalige nördliche Einfahrtstor von innen. Rechts hinter dem Schalthaus-Einbau von 1913 hing noch immer das seit Jahrzehnten ungenutzte Original-Schiebetor!
Das ehemalige Ausfahrtsgleis lag ebenfalls noch immer in situ, deutlich erkennbar in Stadtspur. Rechts wiederum das Schalthaus.
Blick vom Schalthaus in den Bereich der ehemaligen Schiebebühnenüberbauung des Außengleises, die Spuren der verfüllten Schiebebühnen-Grube sind deutlich erkennbar.
Blick entlang der Nordfront des Gebäudes. Das Fachwerk des nördlichen Anbaues an die ursprüngliche Halle ist nach der Sanierung heute nicht mehr erkennbar. Im Laufe der Jahrzehnte der Fremdnutzung hatte vor allem der hintere Bereich größere Umbauten erfahren.
Und heute? Der vordere Anbau von 1906/07 hat viel von seinem ursprünglichen Aussehen bewahrt und zeugt von der längst im Stadtnetz aufgegangenen Dresdner Vorortsbahn des unglücklichen Herrn Kummer. Die beiden Bilder entstanden 2016.
Aktuelle Schrägansicht bei Mäpps. Die verschiedenen Bauetappen sind aus der Luft noch immer gut zu erkennen. Der außermittige Dachfirst des ehemaligen Fachwerkgebäudes verrät die nördliche Ergänzung von 1906. Es haben sich sogar noch zwei der originalen Lüftungstürmchen erhalten. Das „Querschiff“ mittig beherbergte einst die Schiebühne, die auch über das Außengleis hinaus überdacht war.
Das war's aus Leuben. Ich bin noch unschlüssig bezüglich der Fortsetzung, wie wäre es mit Löbtau? Allerdings gibt es dort leider nicht ansatzweise soviel Material...
Ich wünsche allen ein erholsames Pfingstfest
Jöran