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Mit dem Flüsterzug ins Jahr 2006

geschrieben von: Yopohari

Datum: 11.03.02 15:59


Wieder mal was lustiges gefunden:

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Mit dem Flüsterzug ins Jahr 2006

Wir schreiben das Jahr des Herrn 2006. Die deutsche Nationalmannschaft hat zwar nicht ins WM-Finale geschafft, trotzdem finden die Spiele im Revier statt. Extra dafür hat man ja den Metrorapid gebaut, VRR und VRS haben zur WM ein Großgruppensaufticket eingeführt: Für 3-30 Erwachsene, 50€, mindestens 50% der Gruppe muß über 1.0 Promille im Blut aufweisen.

In Düsseldorf habe ich mich irgendwie in den Zug hineingedrängt. Ein Geschäftsmann hat's nicht geschafft, automatische Tür haben sein Aktenkoffer im Zug gehalten, der Kerl ist auf dem Bahnsteig zurückgeblieben. Mit lautem Gröllen untersuchen wir die Inhalt - nur Papiere??? Weg damit! - leerer Koffer wird hin und her geworfen.
Dosenbier. Saufen. Stiefel auf den Polstern. Rauchen im Nichtraucherabteil. Laut Grölen: WEEEERRDDEEERRR!!! Schalke 04 - @#$%& vom Reviiiieeeerrrr!!!!
Sich verzweifeld duckende andere Fahrgäste anpöbeln. Leere Bierdosen durchs Abteil werfen. Sich beschwerende ältere Fahrgäste bedrohen: HAU DIR GLEICH IN DIE SCHNAUZE!
Bierlachen auf dem Boden. Zigarettenqualm im Nichtraucherabteil.

Wir erreichen Duisburg. Auf dem Bahnsteig überall Plakate: "Onkel Wolfgang is watching You". Jemand hat versucht, ohne gültigen Chipimplantat einzusteigen. BahnSecurityService (die mit den Maschinengewehren) zehren den hinaus, bestrafen mit Elektroschocks. Laute Gelächter der Saufkollektive.

Der Zug fährt weiter. Eine Ansage: "Fahrgäste dritter Klasse, bitte Köpfe einziehen, wir erreichen den Tunnel". Die Monatskarteninhaber auf dem Dach versuchen verzweifelt, sich zu ducken - zu spät...

In Mülheim steht der Bürgermeister auf dem Bahnsteig, verteilt Freibier. Soll angeblich Investoren in die Stadt bringen.

Wir erreichen Essen. Mit einem schnellen Blick stelle ich schadenfroh fest: Wieder Stau auf der A 40. Zwei Minuten später hält die Bahn: "Essen-Hauptbahnhof". "Wir haben jetzt über die Hälfte der Fahrtstrecke hinter uns", belehrt mich der Nebenmann ungefragt. "Genau 43,327 Kilometer." Auf seiner Brust blitzt eine Freigang-Plakette der Essener Forensikanstalt.

Lautes Trommeln. Eine Oma fleht um Ruhe, wedelt mit irgend so einer ärztlichen Bescheinigung. Diese wird sofort zerrissen, lautes Gröllen.
Mein Sitznachbar scheint Gedankenleser zu sein. "Ja, man hätte das Geld für den Metrorapid natürlich auch sinnvoll investieren können. Aber seien Sie mal ehrlich - so eine Fahrt im Metrorapid ist doch viel lustiger als in der S-Bahn, oder?" "Kann schon sein", halte ich mich bedeckt, denn die neun Minuten von Essen nach Bochum will ich für einen ungestörten Blick aus dem Fenster nutzen. Gerade fliegt ein weiterer Monatskarteninhaber vom Dach. Kurz darauf stoppt die Bahn im umgestalteten Bochumer Hauptbahnhof. Der Entwurf soll an Münster erinnern - in drei Käfigen hat man die GegenRapid-Schreiberlinge zur Schau gestellt.

Kurz hinter Bochum zucke ich zusammen. Ein entgegen kommender Metrorapid saust an unserem Zug vorbei. Die Außenhaut unseres Zuges quietscht, Risse werden größer. Dadurch sichtbar wird wieder "Landschaft", aber keine besonders schöne: erst die Bochumer Mülldeponie, dann der Güterbahnhof Langendreer.
Eine der Fußballfangruppen wettet, wer am weitesten urinieren kann. Mangels WC kann man es ohnehin nur im Großabteil tun.

An den Arbeitslagern von Ppurk-Nyshenst (wo die Metrorapide gefertigt und gruppenverweigernde "Fahrgäste" bestraft werden) vorbei fahren wir in den Dortmunder Hauptbahnhof ein. Eilig verlassen die bleichen Fahrgäste den Metrorapid.
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