zwischen Erbach und Biberach so schnurgerade? Weil niemand in den Urwald zog und die gelbe Frucht gerade bog, das war schon klar, aber unklar blieb uns, weshalb die "Schwäb'sche Eisebahn" im genannten Streckenabschnitt wie mit dem Lineal gezogen verläuft.
Liebe Hiforisti !
Nachdem uns die Baureihe 03 ab Ende Mai 1971 auf der Brenzbahn abhanden gekommen war, wandten wir uns im Sommer 1971 verstärkt der (württembergischen) Südbahn von Ulm nach Friedrichshafen zu. Besonders der Streckenabschnitt zwischen Erbach und Biberach hatte es uns angetan, weil hier die 03 noch einmal zeigen konnte, was in ihr steckt. Oftmals auf den Münchener D-Zug wartend, fuhr z. B. der Bodensee-Eilzug 1991 anschließend recht verspätet ab und die beiden Männer auf der Lok versuchten nun, so gut es ging, einige Minuten wettzumachen, indem sie die in diesem Abschnitt wegen des moorigen Bodens auf 120 km/h geschränkte Höchstgeschwindigkeit (heute sind es 140 km/h) auf jeden Fall zu erreichen suchten, in manchen Fällen durfte es sicherlich auch ein wenig mehr gewesen sein. Uns fiel damals auf, dass die 26 km lange Trasse von Erbach bis Biberach (auf der Grafik der blau gezeichnete Streckenabschnitt) schnurgerade, ohne jede Kurve und fast wie mit einem Lineal gezogen verläuft. Dass sie jemand einst tatsächlich mit dem Lineal zog, das wussten wir damals noch nicht.
Dieser Jemand war niemand anderer als der württembergische König selbst. Wilhelm I. von Württemberg nämlich wollte den Wettlauf zum Bodensee gegenüber seiner bayerischen und badischen Konkurrenz unbedingt gewinnen. Die Frage war für ihn, wer würde sein "Schwäbisches Meer" als erster per Schiene erreichen? Außerdem war es ihm ein recht persönliches, durchaus egoistisches Anliegen, schnellstmöglich und bequem die An- und Abreise für seine Kuraufenthalte in seiner Sommerresidenz Schloss Hofen - heute Schloss Friedrichshafen - mit dem Neuesten vom Neuen, der Eisenbahn, durchführen zu können. Und da dauerten ihm die Streitereien, welche Gemeinde im letzten noch fehlenden Streckenabschnitt Ulm - Biberach nun einen Bahnanschluss erhalten sollte und welche nicht, einfach zu lange und strapazierten seinen Geduldsfaden über die Maßen. Höchstselbst suchte er sein Verkehrsministerium auf, legte ein Lineal auf die Landkarte zwischen der Gemeinde Erbach und der Stadt Biberach und entschied, dass die Strecke genau so gebaut werden müsse und nicht anders. Dass die Stadt Laupheim dabei links liegen gelassen wurde und nur den abgelegenen Bahnhof Laupheim-West erhielt oder sich die Gemeinden Rißtissen und Achstetten einen Bahnhof teilen mussten, der von beiden Dörfern mehrere Kilometer entfernt mitten in der "offenen Prärie" lag, war dem alten Herrn im schwäbischen Sinne "wurscht". Gewonnen hat den Wettlauf tatsächlich er, wenn auch nur recht knapp: 1. Württemberg: 1850, 2. Bayern 1853, 3. Baden: 1863.
Und so konnten schon in den 1920er und '30er Jahren die schwäbischen Lokomotiven der Reihe C (Baureihe 18.1) des Bw's Ulm auf diesem Abschnitt zeigen, wie schnell sie waren, welche Laufruhe sie dabei aufwiesen, wie wenig Kohle sie brauchten und nicht zuletzt: wie elegant sie dabei aussahen. Die Beförderung aller Eil- und D-Züge von der Donaustadt zum "See" oblag bis in die frühen 1950er Jahre den ab 1909 in Esslingen gebauten "Schönen Württembergerinnen". Obwohl Ulm vom Bw Heilbronn weitere Loks der Reihe 18.1 zugewiesen bekam, entstand aufgrund zahlreicher Ausmusterungen im Jahr 1953 eine Situation, in der die Anzahl der betriebsfähigen C-Maschinen für den Planbetrieb nicht mehr ausreichte. Eine andere Vierzylindrige löste die leichteste aller deutschen Pazifik-Maschinen nach deren Ausmusterung ab. Für viele Dampflok-Liebhaber erscheint die Nachfolgerin mindestens ebenso gelungen wie die württembergische C-Klasse: es war die S 3/6. Aus Nürnberg und Bamberg kamen die bayerischen Maschinen nun in die Donaustadt, und ihnen zur Seite gestellt wurden preußische P 8 für untergeordnete Aufgaben. Aber auch die zugeteilten 18.4-5 waren bereits ältere Länderbahnlokomotiven, denen nur noch wenige Jahre zuzutrauen waren. Und so trafen ab 1957 aus Regensburg, Darmstadt und Hof Lokomotiven der neueren Baureihe 18.6 in Ulm ein. Das waren zwar ebenfalls S 3/6, aber "runderneuerte" mit neuem Kessel mit Verbrennungskammer und neuem Führerhaus, also durchaus "moderne" Dampflokomotiven. Die altbekesselten bayerischen Loks wurden schrittweise auf's Abstellgleis gestellt, sodass das Bw Ulm zu Beginn der 1960er Jahre fast ausschließlich 18.6-Maschinen beheimatete, die jetzt den Dienst auf der Südbahn verrichteten. 1961 wurde die Ulmer Pazifik-Länderbahnära beendet. Sämtliche S 3/6 wurden an das Bw Lindau abgegeben, ihrer letzten Dienststelle, wo sie auf der hügeligen Allgäubahn noch einmal zeigen konnten, was in ihnen steckt. Aber dies auch nur bis zur Mitte der 1960er Jahre. Dann war für die Neukessel-Loks ebenfalls das Ende gekommen. In Ulm trafen unterdessen ab 1961 Reichsbahnloks der Baureihe 03 aus Ludwigshafen und Köln ein, die die Eil- und D-Züge auf der Südbahn übernahmen. Die Zweizylindrigen waren etwa ebenso schnell und ebenso leistungsstark wie ihre drei Vorgängerinnen, hatten aber den Vorteil, dass sie weniger wartungsaufwändig waren. Für die letzten Dampflok-Jahre der DB durchaus ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Und so fuhren die "Salondampfer" der BR 03 bis 1972 noch Züge auf der Südbahn, zwar in den letzten Einsatzjahren keine D-Züge mehr, am Ende nur noch einen einzigen Eilzug und wenige Nahverkehrszüge, die man an einer Hand abzählen konnte. Aber wenn der in Ulm verspätet abgefahrene E 1991 bei Erbach die letzte Linkskurve hinter sich gelassen hatte, die Lok im nun geraden Abschnitt fast ihre zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h erreichte und der Lokführer oder der Heizer uns jugendliche Fotografen lachend zurückgrüßte, dann war das ein packendes Erlebnis, das sich bleibend einprägte, auch wenn es der einzige und letzte schnelle Dampfzug des Tages war. Die von Ulmern 50ern gezogenen Güterzüge lösten zwar nicht dieselbe Begeisterung aus wie die von den Hochrädrigen gezogenen Personenzüge, waren uns aber dennoch stets ein Foto wert, war deren Ende doch ebenfalls in wenigen Jahren abzusehen.
Wer weitere Dampflokfotos von diesem Streckenabschnitt sehen oder sich gar satt sehen möchte, kann wie immer unsere homepage anklicken und wird auf der Startseite zur neuen Serie „Südbahn-Impressionen 1971“ verlinkt. Hier schon einmal fünf Bilder zur Einstimmung.
Ein schönes Wochenende von der Ostalb herab wünscht
Hans (von den Sieber-Brüdern)
Die (bis heute nicht elektrifizierte) württembergische Südbahn von Ulm nach Friedrichshafen wurde 1850 fertig gestellt. Bis 1913 wurde sie dann zweigleisig ausgebaut. Den schnurgeraden (blauen) Streckenabschnitt "verdanken" wir König Wilhelm I.
Am 19. August 1971 hat die 03 131 bei Warthausen den E 1991 am Haken. Die "verbogenen" Gleise rechts gehören zum "Öchsle".
Am selben Tag legt die 03 088 mit dem P 3309 nach Aulendorf im längst stillgelegten Bahnhof Langenschemmern eine beeindruckende Anfahrt hin.
Die Ulmer 50 1019 ist bei Laupheim-West unterwegs, jenem abgelegenen Bahnhof, den der autoritäre Linealstrich einfach links liegen gelassen hatte. Gut sieht man auf diesem Bild, wie schnurgerade die Strecke verläuft.
Am 13. August 1971 überfährt die 03 131 mit dem E 1990 eine der Rißbrücken bei Schemmerberg. Der Fluss hat einer ganzen Eiszeit seinen Namen gegeben. (Danke an Reinhard für die Zugnummer-Korrektur))
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