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Hubschrauber auf Flughöhe Null - die BR 602
Zunächst wie gewohnt der Hinweis auf themenverwandte Beiträge:
Die erste Gasturbine bei der DB: Die Baureihe 219 (m7B)
Hubschrauber auf Flughöhe Null - die BR 210 (m23B)
Heute möchte ich mal eine Baureihe vorstellen, die eigentlicher jeder kennt, oder denkt sie zu kennen. Dabei gab es sie in lediglich 4 Exemplaren. Und das auch nur für kurze Zeit, weshalb sie auch nur sehr unzureichend dokumentiert ist. Als ich mich etwas ernsthafter mit der Eisenbahnfotografie zu beschäftigen anfing, so um 1977 herum, war die Uhr dieser Fahrzeuge eigentlich schon abgelaufen. So existieren bei mir auch nur wenige Aufnahmen dieser Baureihe, dazu noch in den meisten Fällen von minderer bis saumäßiger Qualität. Auch hier gilt: Mit der Bildbearbeitung läßt sich noch einiges herausholen.
1957 hatte die DB die hochmodernen und hochkomfortablen VT 11.5 (BR 601) für den TEE-Verkehr in Dienst gestellt. Jeder Triebkopf besaß einen 12-Zylinder-V-Motor, der in der Lage war 1100 PS Leistung abzugeben und sich schon in anderen Triebfahrzeugen (V 200, VT 08, VT 12) bewährt hatte. Dadurch konnte eine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h erreicht werden. Als jedoch 1968/69 die allgemeine Höchstgeschwindigkeit auf Strecken der DB auf 160 km/h heraufgesetzt wurde, gerieten die eleganten Züge an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit, auch wenn sich diese Anhebung zunächst noch nicht sonderlich bemerkbar machte, waren diese Streckenabschnitte doch noch arg begrenzt. Da aber auch der Fahrgastandrang stieg und daher zusätzliche Mittelwagen eingestellt werden mußten, entschloß man sich, fünf Triebköpfe der inzwischen als Baureihe 601 bezeichneten Züge, durch den Einbau einer Gasturbine für die neuen Aufgaben zu befähigen.
Folgende Konstellationen waren angedacht:
1. 601 mit 602 und zehn Mittelwagen: Hier kann auch bei 5 ‰ Steigung noch mit 160 km/h gefahren werden.
2. 601 mit 602 und acht Mittelwagen: Hier besteht bei 160 km/h noch ein Zugkraftüberschuß von 6 kp/t.
3. 602 und 602 und acht Mittelwagen: Es sollen Versuchsfahrten mit bis zu 210 km/h durchgeführt werden.
Zunächst sollten auch noch drei Mittelwagen (Abteil-, Großraum- und Barwagen) VM 901 zu VM 902 umgebaut werden, wobei sie eine gleisbogenabhängige Wagenkastensteuerung erhalten sollten, um höhere Kurvengeschwindigkeiten fahren zu können. Dazu kam es jedoch nicht mehr.
Im Gegensatz zur Diesellokbaureihe 210, wo die Turbine als Booster genutzt wurde, wählte man bei den 602 den Weg, die bisherige Motoranlage durch eine Zweiwellen-Gasturbine aus dem Hubschrauberbau vom Typ T55-L-11 von Avco-Lycoming auszutauschen. Diese Turbine entwickelte eine Leistung von 2200 PS. 1971 begann man bei M.A.N in Nürnberg mit dem Umbau des ersten Triebkopfes, dem noch drei weitere folgen sollten, sodass letztlich nur vier Triebköpfe umgerüstet wurden. Zudem musste die Luftzuführung und die Abgasabführung geändert werden, erkennbar an den auffälligen Anbauten an den Triebköpfen und den vergrößerten Auspuffrohren zwischen den Frontscheiben.
Bild 01: Zunächst begnügte man sich mit einem zusätzlichen Lufteinlass unterhalb der Führerstandsfen-
ster, wie auf diesem Foto von Helmut Philipp ersichtlich, das am 10. Juni 1972 im BZA Minden entstand:
Bild 02:
Als diese Bilder das erste Mal im HiFo auftauchten, gab es Spekulationen, dass es sich bei diesem Wagen nicht um den eigentlichen 602 003 (vorm. 601 012) handeln könnte, sondern um den ehemaligen 601 003 (dem späteren 602 002). Dieses daher, weil (wohl irrtümlicherweise) angenommen wurde, dass die Triebköpfe zunächst ihre alte Ordnungsnummer behalten hätten und erst Anfang 1972 beschlossen worden sein soll, die Fahrzeuge in 602 001 bis 004 durchzunummerieren. Der 601 003, war aber bereits seit dem 10. März 1972 unter der Bezeichnung 602 002 wieder im Einsatzbestand beim Bw Frankfurt/M. 1, zusammen mit dem 602 001.
Ich zitiere an dieser Stelle mal den „Programmierer“ (realer Name dem Verf. bekannt) vom 07. September 2009 hier im HiFo:
Zitat:
Jetzt möchte auch ich mich einmischen. Also zuerst eine Klarstellung: Die Behauptung, alle vier Fahrzeuge seien schon seit 1968 auf z gestellt worden und deren Abnahme sei in 01.1974 erfolgt, entbehrt jeder Grundlage. Seit 1968 wurden die Verwendungsnachweise EDV-mäßig erfaßt, mir liegen diese Änderungen seit Anfang an vor. Die erste z-Stellung ist darin am 01.04.1970 für 601 003 und 012 dokumentiert. Hier die einzelnen Daten:
601 003: 01.04.70 - 30.06.71 z, seit 01.07.71 i.D.,
01.01.72 - 09.03.72 z mit Umbau im AW Nürnberg und als 602 002 i.D. gestellt
601 007: 01.01.72 - 07.03.73 z mit Umbau im AW Nürnberg und als 602 004 i.D. gestellt
601 010: 01.07.71 - 22.02.72 z mit Umbau im AW Nürnberg und als 602 001 i.D. gestellt
601 012: 01.04.70 - 06.01.71 z, seit 07.01.71 - 13.03.71 im AW Nürnberg (nicht z!) mit Umbau in 602 012
602 012: 01.07.71 - 04.09.72 z und am 05.09.72 als 602 003 I.D. gestellt
So war es wohl nur der 601 012, der vorrübergehend als 602 012 bezeichnet gewesen ist. Da 602 001 und 002 bereits seit Februar bzw. März 1972 unter dieser Bezeichnung in Dienst standen, kann man davon ausgehen, dass auch für den 601 bzw. 602 012 die Bezeichnung 602 003 bereits feststand, auch wenn die offizielle Umzeichnung erst zum 05. September 1972 anstand. Somit sehen wir auf diesen Bildern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den bereits mit der neuen Nummer 602 003 bezeichneten ehemaligen 601 bzw. 602 012. Da inzwischen durch Karl-Friedrich Seitz auch das Aufnahmedatum bestätigt wurde, kann es eigentlich gar nicht anders sein.
Diese optisch ansprechende Lösung zur Luftansaugung genügte jedoch nicht den betrieblichen Anforderungen. Es soll im Winter zum Zusetzen der Luftkanäle durch Schnee und daraufhin zu einem Luftabriss mit der Folge der Zerstörung der Turbine gekommen sein, woraufhin man eine "luftfahrtmäßige" Lösung der Ansaugung mit den seitlichen Einlässen gewählt hat. Auch das Getriebe musste geändert, der Kraftstoffvorrat auf 5000 Liter verdoppelt und durch 1,5 to Ballast das Reibungsgewicht erhöht werden. Die Turbinenleistung wurde über 63 (!) Fahrstufen geregelt, wobei eine Kombination mit herkömmlichen Triebköpfen zunächst nicht möglich war. Erst nach Entwicklung einer Anpassungssteuerung konnte auch in der (gewünschten) Kombination 602 mit 601 gefahren werden.
1972 begannen umfangreiche Probefahrten u.a. zwischen Weil am Rhein und Bruchsal statt. Walter Schepperle konnte diese seinerzeit dokumentieren und stellte mir dankenswerterweise einige Aufnahmen zur Verfügung:
Bild 03: Zunächst fuhr man mit nur einem Triebkopf, zwei Mittelwagen und der 210 008 als Zug- bzw. Bremslok:
Bild 04: Einige Wochen später fuhr man dann mit zwei Triebköpfen, zwei Mittelwagen und eben-
falls der 210 008 als Bremslok, die aber jeweils am Wendebahnhof ans Zugende umsetzte:
Bild 05: Und irgendwann auch dreiteilig mit nur einem Mittelwagen:
Ab Juli 1974 erfolgte schließlich der Planeinsatz beim Bw Hamburg-Altona. Dabei wurden überwiegend gemischte Garnituren gefahren, also mit je einem 601 und 602 an den Zugenden. Mit dem Sommerfahrplan 1978 endete der Einsatz der Gasturbinentriebköpfe der Baureihe 602 im Planeinsatz nach nicht einmal vier Jahren bei der DB. Zunächst kamen die 602 noch fallweise im 601-Umlauf zum Einsatz; wurden aber alle im Laufe des Jahres 1978 ausgemustert. Hier nun mein kleiner Bilderbogen zu dieser Baureihe:
Bild 06: Am 28. Januar 1978 präsentiert sich 602 002 neben 601 008 im Heimat-Bw Hamburg-
Altona. Gut ist der äußere Unterschied zwischen den beiden Baureihen zu erkennen (Foto F.Skau):
Bild 07: Im Mai 1978 setzt sich 602 003 mit dem IC 131 "Principal" im oberen Osnabrücker Hbf in Bewegung:
Wer einmal den Sound der Gasturbine bei der Anfahrt erleben möchte, der klicke bitte
HIER (mp3-Datei) auf Joachim Biemanns Seite „Bahnen im Rheinland“. Die Seite verfügt nur über begrenzten Traffic. Sollte es nicht funktionieren, einfach nach einer Stunde noch einmal probieren.
Bild 08: Heimat-Bw der Baureihe war die ganze Zeit über das Bw Hamburg-Altona. Am 15. August 1978 steht
602 004 in der Werkstatt. Zu diesem Zeitpunkt erfolgen mit 602 003 und 004 nur noch Sondereinsätze:
Bild 09: Am selben Tag steht 602 003 vor der Halle abgestellt, um in Kürze eine Fahrt anzutreten. Links im Bild
übrigens der Reserve-Steuerwagen für den Karlsruher Zug. Wie der nach Hamburg-Altona kam? Keine Ahnung:
Bild 10:
Bild 11:
Bild 12: Einige Zeit später verläßt der 602 003 Hamburg-Altona in Richtung Süden:
Exakt eine Woche später, am 22. August 1978 konnte ich im AW Nürnberg die z-gestellten, aber noch nicht ausgemusterten 602 001 und 602 002 ablichten. Ihre Ausmusterung erfolgte erst am 25. Juli 1979.
Bild 13: Zunächst 602 001, der am 22. Februar 1978 z-gestellt worden war:
Bild 14: 602 002 (links) und 601 002. Der 601 002 stand seit dem 27. Oktober 1977 auf "z". Er wurde erst am 11. Juni 1981 ausgemustert:
Bild 15: Und noch einmal der 602 002, dessen z-Stellung am 08. März 1978 erfolgt war:
Bild 16: Hier noch einmal 602 004 am 03. April 1978 im oberen Osnabrücker Hbf:
Bild 17:
Bild 18: Am frühen Morgen des 19. Mai 1978 ist ein 602 mit IC 131 bei Natrup-Hagen an der
"Rollbahn" unterwegs. 14 Tage später wird dieses Spektakel der Vergangenheit angehören:
Bild 19: Zum Schluß eine Aufnahme, bei der ich zwar etwas zu früh abgedrückt habe (der Zug fährt in nördl. Richtung), aber es ist
noch relativ gut zu erkennen, dass es sich hier um einen Zug mit zwei Triebköpfen der Baureihe 602 handelt. Wenn meine Informati-
onen stimmen, können das am 17. Mai 1978 kurz vor Lengerich/Westf., auf Höhe der TWE-Werkstätten, nur 602 003 und 004 sein:
Ich hoffe, es hat euch auch diesmal wieder gefallen, auch wenn der Beitrag nur wenige Betriebsaufnahmen enthält. Aber die Gasturbinen-VT wurden eben nicht mehr benötigt. Ob sich die Investitionen gelohnt haben, sei mal dahingestellt, aber man hatte immerhin versucht, seine Diesel-Flaggschiffe am Leben zu erhalten. Mit der Einführung von IC-Zügen mit beiden Wagenklassen war dann aber endgültig Schluß mit lustig. Zudem war die Wartung der Gasturbinen für die DB eine recht teure Angelegenheit und die Ausfälle häuften sich, war die Betriebscharakteristik im Bahnverkehr mit ständigem Auf- und Abschalten doch ganz anders als im Helikopter, für den diese Turbinen eigentlich entwickelt worden waren. Für die 1978/79 verbliebenen IC-Züge Hannover-Köln reichten dann zwei 601er Triebköpfe aus, so dass es den Verantwortlichen nicht schwer fiel, auf diese hochgezüchteten Fahrzeuge zu verzichten.
Bis neulich - natürlich im HiFo
Rolf Köstner
Man hat nicht richtig gelebt, wenn man nie in einem ICE gesessen hat, der in Hamm geteilt worden ist.
Ich bin ein Boomer!
6-mal bearbeitet. Zuletzt am 2020:01:02:16:09:58.