Hallo Gemeinde,
unser heutiger Ausflug führt uns im Juni 1990 in den Norden Argentiniens, genauer gesagt, in die staatliche Zuckerfabrik Ledesma und damit in die
SCHMUDDELIGSTE WERKSTATT DER SÜDLICHEN HEMISPHÄRE:
Die meterspurige Henschel DH220 im Hintergrund (26592/1956) war zum Besuchszeitpunkt defekt abgestellt.
Zusammen mit zwei Freunden besuchte ich seinerzeit meinen Freund Kralli, der in Salta an seiner Doktorarbeit werkelte. Damit hatten wir den riesigen Vorteil, einen Begleiter zu haben, der nicht nur Sprache sondern auch landestypische Verhandlungstechniken perfekt beherrschte. Übereinstimmende Berichte in „World Steam“ und „Dampf&Reise“ sprachen von einem Rest-Dampfbetrieb in Ledesma. Nach einer längeren Sitzung im Büro des indischstämmigen PR-Managers bekamen wir Einlaß ins Werk (Kralli hatte bereits vorher das Wesentliche mit dem Werkstattchef geklärt, hielt es aber für angebrachter, den Dienstweg einzuhalten). Auf dem meterspurigen Anschluß zur Staatsbahn teilte sich ein amerikanischer Kleindiesel die Arbeit mit Loc 14 (O&K 1920, dahinter Lok 11 und eine weitere abgestellt):
Damit wäre ja eigentlich alles schön gewesen, wenn ich mich nicht an diesem Abend total verguckt hätte (Lok 18, Henschel 28456/1959):
Naja, für den nächsten Tag war eine Besichtigung der 700mm-Plantagenbahn ausgemacht, deren Netz rund 200km umfassen sollte. Dampf war vage vereinbart, und so war ich eigentlich guter Dinge, als wir uns am nächsten Morgen wieder einen Weg durch den Ölschlamm bahnten. Leider gab es keinen Dampf, da man in der zurückliegenden Erntepause auf den Fahrgestellen dreier O&K-D-Kuppler aus den 20ern selber Dieselloks gebaut hatte, auf die man sehr stolz war. Unter Verwendung von Teilen aus Zuckerrohr-Erntemaschinen wurde beidseitig ein außen liegender Antrieb über Rollenketten konstruiert.
Extra für uns hatte man auch eine Probefahrt anberaumt:
Zwei der drei Loks kehrten von dieser Fahrt nicht mehr mit eigener Kraft zurück:
Inzwischen war mein Frust, für die dicke Henschel offensichtlich zu spät gekommen zu sein, ins Unermessliche gewachsen (Tenor: „Dieselloks gibt’s bei uns auch, dafür brauche ich nicht um die halbe Welt zu fliegen"), den Ausfall der Diesel konnte ich dann auch nur mit bitterem Spott begleiten. Mein Koller mündete nach bewährter „Ich halte die Luft an“-Methode in der Aussage „Ich gehe hier nicht weg, bevor so eine Henschel läuft – und wenn ich sie selber anheizen muß“. Jetzt zeigte sich, was ein guter Freund wert ist (obwohl ich eigentlich allen ziemlich auf den Keks ging). Kralli übersetzte den Kern meiner Aussage, nicht ohne hinzuzufügen „Ich kenne den, der macht das tatsächlich ...“
Mein implizites Angebot der Mitarbeit muß den Werkstattchef wohl so beeindruckt haben, dass wir einige Tage später noch einmal kommen durften. Nach 9 Monaten Standzeit hatte man die 18 in die Werkstatt geholt. Erstmal musste der Stutzen für die Wasserbefüllung mit sanfter Gewalt geöffnet werden:
Eigentlich hatte ich mir das Ganze einfach vorgestellt: 14 daneben, mit Fremddampf die ölgefeuerte 18 aufblasen, Brenner zünden – fertig. Nun, die 14 war weit und breit nicht zu sehen, dafür gab es nach erfolgtem Anheizen im ganzen Werk keine alten Paletten mehr ...
Die Ölausgabe bestand übrigens aus einem der auf Bild 1 zu sehenden Fässer, das über einem Graben lag. Kanne drunter halten, Faß drehen, bis Öl kommt ... Später habe ich gelesen, dass die Luttermöller-Antriebe der Endachsen um die 40 Liter Öl benötigen, noch heute ist mir das „Mucho! Mucho!“ im Ohr, mit dem ich beim Abschmieren auf die Trichter hingewiesen wurde. Das Werkstatt-Personal verlor dann endgültig die Fassung, als Marcus meinte, die Lok waschen zu müssen.
Endlich ging es los. Wir hatten zwar um einen fotogenen Leerzug gebeten, uns aber damit mitten in ein Politikum begeben. Offiziell hatte man ja neue Dieselloks, also durfte es keinen Zuckerrohrzug mit Dampf mehr geben. Wenigstens durften wir die beiden Personenwagen mitnehmen.
Zwischendurch musste von allen Seiten kontrolliert werden.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit und vor Erreichen des Werks sah es dann wirklich aus wie bei einer (schlecht bedienten) Öllok.
Die ganze Aktion hatte uns nur ein abendliches Grillen mit dem Werkstattpersonal gekostet. Meines Wissens war das der letzte Einsatz der 18. Vor einigen Jahren wurde sie im Internet zu Kauf angeboten. Da ich weder eine 700mm-Strecke zur Hand habe, noch mein Garten groß genug ist, konnte ich nicht zugreifen. Die Diesel sind wohl nie ans Laufen gekommen ...
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2006:06:09:21:27:26.