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Liebe Forengemeinde,

so, nun stelle ich hier auch mal einen Reisebericht ein: Im vergangenen August waren wir knappe drei Wochen in Russland unterwegs. Neben einem obligatorischen, längeren Stopp bei der Verwandtschaft nahe von Moskau war ursprünglich auch eine Bahnreise nach Sibirien angedacht. Aus Zeitgründen haben wir es dann nicht ganz so weit nach Osten geschafft.

Anbei einige Eindrücke von einer elftägigen Tour an den äußersten Ostrand von Osteuropa.

Da wir mitten in der Hauptreisezeit unterwegs waren, hatten wir alle Fernzug-Tickets bereits vorab von Deutschland aus über eine kompetente Bahnagentur beschafft. Die Fahrkarten auf DB-Papier und ohne die in Russland üblichen persönlichen Daten der Fahrgäste sorgten in allen genutzten Zügen zunächst für Verwunderung. Der Zugchef wurde jeweils zur Ticketkontrolle hinzugebeten, aber es gab nirgendwo Probleme. Unterwegs waren wir im 4-Personen-Schlafabteil. Viele Züge der russischen Staatsbahn wurden in den vergangenen Jahren modernisiert, aber insbesondere auf den weniger prestigeträchtigen Routen werden noch immer Schlafwagen ohne moderne WCs und Steckdosen eingesetzt. Bedauerlich finde ich auch das Firmendesign: Statt der früheren individuellen Lackierungen sind heute alle Züge im einheitlichen RZD-grau unterwegs - was Eisenbahn-Fotos ein bisschen langweiliger macht.

Die Reise nach Osten beginnt am legendären "Platz der drei Bahnhöfe" in Moskau. Für die erste Nachtfahrt haben wir Plätze für den Schnellzug Nr. 90 Moskau-Petropawlowsk.
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Wir wollen allerdings gar nicht bis nach Kasachstan, sondern nur an die Wolga bis Kasan mitfahren. Viele Transitzüge stoppen mittlerweile nicht mehr am Hauptbahnhof der Stadt, Kasan-1, sondern am nördlichen Stadtrand an der Bahnstation Kasan-2 (in Fahrplänen auch als "Vosstanie Passaschirskaja", also "Revolte, Passagierbahnhof" bezeichnet).
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Kasan ist eine meiner Lieblingsstädte in Russland. Seit ich das letzte Mal für längere Zeit dort war, hat sich vor Ort viel getan. So ist die erste Metro-Linie der Stadt in Betrieb genommen worden. Sie verbindet den Nordbahnhof mit der Innenstadt. Alle Fahrgäste müssen am Eingang ihr Gepäck durchleuchten lassen, ein Anti-Terror-Prozedere, dass mit den Menschenmassen in Moskau vermutlich kaum zu praktizieren wäre. In der Kasaner Metro geht es aber deutlich ruhiger zu.
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Während der folgenden Tage hangeln wir uns durch das übliche Touristenprogramm mit Kreml, Tataren-Moscheen, Stadtrundfahrt im roten Doppeldecker-Bus und einem Ausflug in das hübsche Raifa-Kloster. Zwischendurch schlagen wir uns die Bäuche mit tatarischen Leckereien voll und machen eine Bootsfahrt auf der Wolga. Eher abraten würden wir von einem Besuch in dem riesigen Aquapark am Stadtrand: unvorstellbar überfüllt und teuer - macht nicht einmal Kindern wirklich Spaß.
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Der zentrumsnahe Hauptbahnhof von Kasan ist eine interessante Mischung aus historischem Baudenkmal, sowjetischen und postsowjetischen Anbauten.
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Wie überall in der tatarischen Hauptstadt wird auch bei der Bahn penibel auf Mehrsprachigkeit geachtet. Alle Hinweisschilder sind in Russisch, Englisch und Tatarisch beschriftet. Wobei die mit dem Türkischen verwandte tatarische Sprache bei Eisenbahner-Fachbegriffen offenbar stark auf russische Lehnwörter setzt...
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Von Kasan aus soll es über Nacht weitergehen Richtung Osten. Wir besteigen den Nachtzug Nr. 378 Kasan-Nowyj Urengoi. Einmal mehr bestätigt sich die Faustregel, dass Züge mit niedriger Nummer in Russland besser sind als die mit höherer. Und 378 ist definitiv eine ziemlich hohe Zahl. Womöglich, weil das Ziel des Zuges die Gasfelder am Polarkreis sind, ist es während der Fahrt unerträglich heiß. Dem wortkargen Mitreisenden in unserem Abteil, der bis zu einem kleinen Dorf in Westsibirien an Bord bleiben will, macht das nichts aus. Er schläft als einziger sofort ein.
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Am nächsten Vormittag sind wir bereits zwei Zeitzonen weiter im Osten. An der Station Druschinino, dem letzten Halt vor Jekaterinburg, wird ziemlich deutlich, welche Bedeutung die Rohstoffe Sibiriens und des Urals für Russland haben. Während unser Schlafwagenzug auf das grüne Ausfahrtsignal wartet, parken auf den Nebengleisen fünf mit Kohle beladene Züge, die Richtung Westen unterwegs sind.
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Wer bei der Fahrt durch das Uralgebirge auf eindrucksvolle Berglandschaften hofft, wird zumindest auf dieser Strecke schwer enttäuscht. Um Berge in der allenfalls leicht hügeligen Landschaft auszumachen, braucht man mindestens ein Fernrohr. Am eindrucksvollen Hauptbahnhof von Jekaterinburg verlassen wir unseren überhitzten Schlafwagen - auch in der heimlichen Hauptstadt der Ural-Region gibt es wieder eine Metro mit einer einzelnen Linie, die uns schnell ins Zentrum zu unserer Unterkunft bringt.
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Jekaterinburg ist eine ziemlich moderne Großstadt mit so etwas wie einer echten Hochhaus-Skyline. Touristen besuchen vor allem die Gedenkorte für die letzte Zarenfamilie: eine riesige Kathedrale dort, wo Nikolaus II., seine Frau und die Kinder 1918 erschossen wurden und das Kloster von Ganina Jama, dem Ort, wo später die Leichen verbrannt wurden. Wurden die Ereignisse zu Sowjetzeiten noch totgeschwiegen, wird mittlerweile ein recht befremdlicher Kult um den heiliggesprochenen Herrscher und seine Angehörigen betrieben.
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Für uns ist die wuselige Millionenstadt Startpunkt für eine bereits von Deutschland aus organisierte dreitägige Paddeltour im Ural. Solche, bis zu zweiwöchigen geführten Reisen mit Katamaran, Floß oder Kanu sind in den vergangenen Jahren enorm populär geworden. Boote, Zelte und Verpflegung werden vom Veranstalter gestellt, nicht einmal Schlafsäcke mussten wir mitbringen. Die kleine Gruppe besteht aus netten Leuten, und das Wetter ist grandios.
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Auf dem Rückweg nach Jekaterinburg machen wir noch einmal einen kurzen Fotostopp an einem Obelisken, der die Grenze zwischen Europa und Asien markiert. Entlang des Urals gibt es etliche solcher Denkmäler. Auf der Zugfahrt von Kasan hatten wir allerdings keines bemerkt.
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Auf der nächsten Zugetappe geht es nun wieder Richtung Westen. Wir besteigen in Jekaterinburg den Schlafwagenzug Nr. 145 Tscheljabinsk - St. Petersburg. Vor dem Zugfenster zieht es ein weiteres Mal die sanfte Hügellandschaft des Ural an uns vorbei.
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Obwohl wir nur bis zur nächsten Haltestelle an Bord bleiben, ist ein Abendessen aus dem Speisewagen im Fahrpreis inbegriffen - was erklärt, warum das Ticket fast so viel kostete, wie die viel weitere Strecke im letzten Zug. Mit der Plastik-Box-Verpflegung der RZD haben wir uns nicht richtig anfreunden können. Den "vegetarischen Plow" würden wir jedenfalls kein zweites Mal wählen.
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Unser nächster Stopp nach wenigen Stunden ist Kungur, eine alte Kaufmannsstadt entlang der Straße, die Europa mit Sibirien verband. Die zwischen vier Flüssen gelegene Altstadt bietet einige hübsche alte Bauten und Kirchen, wir interessieren uns aber mehr für den städtischen Badestrand. Hauptattraktion von Kungur ist allerdings die spektakuläre Eishöhle am Stadtrand, von der ein kleiner Teil besichtigt werden kann. Es lohnt sich!
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Nach zwei Nächten fahren wir zunächst mit dem Vorortzug in die Gebietshauptstadt Perm. Während rund um Moskau die "Elektritschkas" mancherorts nahezu im Fünf-Minuten-Takt verkehren, ist der Vorortverkehr in der Ural-Region offenbar in den vergangenen Jahren aus Geldmangel stark ausgedünnt worden. Auch sind in der Gegend noch Fahrzeuge mit leicht antikem Charme im Dienst, die in Moskau vermutlich schon lange aussortiert wurden.
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Was hingegen landesweit auffällt, ist der gute Zustand auch kleiner Unterwegshaltestellen. Noch die unbedeutendsten Haltepunkte sehen ordentlich aus, sind oft frisch in den RZD-Farben gestrichen. Ob am Haltepunkt Jergatsch südlich von Perm jemals ein ausländischer Reisender ausgestiegen ist, dem die neuen Bahnhofsschilder in kyrillischer und lateinischer Schrift helfen, weiß ich nicht.
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Für Perm, Europas östlichste Millionenstadt, haben wir einen Tag eingeplant. Das ist mehr als ausreichend, denn wirklich viele Attraktionen gibt es in der Stadt nicht. Der Hauptbahnhof Perm II liegt an der Hauptstrecke der Transsibirischen Eisenbahn, hier besteigen wir am Abend einen Zug aus Sibirien, den Express Nr. 67 Abakan-Moskau.
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Wieder landen wir in einem etwas älteren Schlafwagen aus ostdeutscher Produktion, der schon über 25 Jahre im Einsatz ist. Da der Waggon noch aus dem mobiltelefonlosen Zeitalter stammt, sind die Rasierapparat-Steckdosen am Ende des Gangs stets von Fahrgästen mit leeren Handy-Akkus umlagert.
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Bedauerlicherweise gibt es auf der Fahrt immer weniger Bahnhöfe, an denen noch ein reger Proviant-Verkauf auf den Bahnsteigen stattfindet. Die russische Bahn hat wohl beschlossen, dass sich ihre Fahrgäste nicht mehr wie früher mit Piroggen und belegten Broten bei den Babuschkas vor dem Zugfenster, sondern lieber mit ihren Plastikboxen verpflegen sollen. Das mag eine Anpassung in Richtung europäischer Standards sein, aber ich finde es sehr bedauerlich. Einige Zwischenstationen, etwa Danilow nördlich von Jaroslawl, gleichen aber immer noch kleinen Marktplätzen.
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Nach gut 20 Stunden Fahrt erreichen wir - wie in Russland üblich auf die Minute pünktlich - wieder Moskau. Nach einer letzten Nacht in der Nähe der Hauptstadt wählen wir für die Heimfahrt den Moskau-Paris-Express. Im Umspurwerk im weißrussischen Brest kommen wir neben mehreren Regionalzügen zum Stehen, die schon in den Farben der serbischen Eisenbahn lackiert sind und sich wohl auf dem Weg auf den Balkan befinden. Dass wir mit dieser Zugfahrt von Russland über Weißrussland in die Bundesrepublik möglicherweise etwas furchtbar Illegales tun, ahnen wir nicht. Die ersten Meldungen über das Kuddelmuddel mit der russisch-weißrussischen Grenze, das seither auch im drehscheibe-Forum mehrfach diskutiert wurde, gibt es erst anderthalb Monate später.
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Eine etwas weniger eisenbahnzentrierte Variante und andere Berichte, Fotos und Landesinfos aus Russland habe ich auf meiner Webseite zusammengestellt: [www.rhein-wolga.info]



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:01:29:08:24:25.

Sehr interessant, danke! :-) (o.w.T)

geschrieben von: Roni

Datum: 28.01.17 21:57

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)
lg, Roni - [raildata.info] - Meine DSO-Reportagen Teil 1 (2005 bis 06/2019): [www.drehscheibe-online.de] - Meine DSO-Reportagen Teil 2 (neueste): [www.drehscheibe-online.de]
https://raildata.info/raildatabanner1.jpg
Spannend zu lesen ein Bericht aus unbekannten Gegenden Rußlands. Vielen Dank!

LG Gustav
HIER sind meine Reiseberichte zu finden!
Grussfrequenzen offen,

vielen Dank für deinen schönen Reisebericht !

Fahrt Frei !
Jan



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 2017:01:29:21:32:29.

Mit Genuss zu lesen. Vielen Dank! (o.w.T)

geschrieben von: D 2027

Datum: 29.01.17 19:33

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)
Wer in Deutschland das öffentliche Eisenbahnwesen benutzt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. (Karl Lagerfeld, dt. Modeschöpfer 1933 - 2019)

Re:

geschrieben von: Iwan Parowosow

Datum: 31.01.17 20:06

Besten Dank für die netten Worte!

Ein wunderbarer Bericht, besten Dank! (o.w.T)

geschrieben von: dacia

Datum: 01.02.17 19:06

(Dieser Beitrag enthält keinen Text)