Im Frühsommer 1981 verdichteten sich die bis dahin eher gerüchteweise verbreiteten Meldungen zur Gewissheit, dass die DB V200 auf ihre alten Tage noch einmal zu einem spektakulären Auslandseinsatz kommen würden. Grund: Nicht rechtzeitige Lieferung der neuen Dieselloks mit Drehstrom-Leistungsübertragung, Baureihe ME. In der öffentlichen Darstellung waren dafür natürlich die Lieferfirmen Henschel und BBC verantwortlich, die auch die Kosten für die Leihloks zu tragen hatten. Tatsächlich wird es wohl, wie in vielen anderen vergleichbaren Fällen, so gewesen sein, dass die Vertragsparteien nicht rechtzeitig zu einem Abschluss gekommen waren, und der zuvor festgelegte Liefertermin aus Gesichtswahrungsgründen nicht entsprechend nach hinten verschoben werden konnte.
Wie dem auch sei, für die Freunde des DB-Klassikers V200 war der Einsatz in Dänemark eine willkommene Ausweitung der letzten Rückzugsgebiete rund um Lübeck und Oldenburg. Konkrete Formen nahm das Thema an, als im Eisenbahn-Kurier 4/81 die Umlaufpläne erschienen: Vier Plantage mit z.T. hochwertigen Zügen in Jütland und auf Fünen, mit den Eckpunkten Flensburg im Süden, Frederikshavn im Norden, Struer im Westen und Nyborg im Osten. Da man den altersschwachen Maschinen wohl nicht mehr recht vertraute, wurde grundsätzlich in Doppeltraktion mit festen Lok-Pärchen gefahren. Spätestens jetzt war für mich klar: "Da muss ich hin".
Aber vom Ruhrpott aus war Jütland "janz weit weg" und zudem völlig unbekanntes Terrain – Navi und Gurgel-Mappe gab es damals ja noch nicht. Da traf es sich gut, dass ich seit kurzem einen ebenfalls Eisenbahn-begeisterten Arbeits-Kollegen hatte, der meinen Vorschlag, gemeinsam einen 5-Tages-Trip über ein verlängertes Wochenende zu den V200 nach Dänemark zu machen, sofort begeistert annahm. Dass ich von meinem Freund Martin Welzel rede, dürfte hier im HiFo ein offenes Geheimnis sein ;-))
Freitag, 28.08.1981
Genau heute vor 30 Jahren, ging’s los – am 28.08.81 in aller Herrgottsfrühe, gefühlt kurz nach Mitternacht. Schließlich wollten wir möglichst noch vormittags vor Ort sein. Nach gut vier Stunden Autofahrt wurde es Zeit für eine erste Rast. Natürlich nicht irgendwo, sondern an der Strecke kurz vor Neumünster. Bei Quarnstedt wurden quasi zum Aufwärmen kurz eine Dreifachtraktion 612/613 und ein paar 218er erlegt. Nein, die Bilder zeige ich jetzt nicht, um schneller zum eigentlichen Thema zu kommen.
Kurz vor der Grenze bei Flensburg wurde noch mal der Tank voll gemacht – zu einem Rekordpreis, der bis heute auf meiner mentalen Festplatte eingebrannt ist: Super für 151,9 Pf/ltr. Heute bezahlen wir das gleiche in Euro-Cent!
Hinter der Grenze der nächste Halt am Bahnhof Padborg. Tote Hose, kein Bild gemacht, aber dänisches Kursbuch erstanden. Damit waren wir jetzt voll aktionsfähig.
Als erstes Ziel wurde die Strecke nordwestlich von Fredericia angesteuert. Dank Kursbuch wussten wir, dass aus Richtung Aarhus ein IC im Anrollen war. Bei Pjedsted an einem kleinen BÜ ein erster Blick auf Strecke – und schon kam er angerauscht …
Bild 01:
… IC144, bespannt mit den zwei Rundnasen
MX 1032 und
MX 1023 (Ausschnitt aus Hochkantbild).
Na ja, dieses Motiv war nun eigentlich eher eine "Notschlachtung" und erschien uns für die kurz darauf folgende V200 ungeeignet. Da musste doch noch was Besseres zu finden sein. Viel Zeit zum Suchen blieb allerdings nicht mehr. Ein Stück zurück nach Bredstrup fanden wir schließlich eine über die Bahn führende Straßenbrücke.
Bild 02:
Noch während wir überlegten, ob wir die V200 hier machen wollten, kam aus Richtung Fredericia ein Güterzug angebrummt. Trotz heftigen Gegenlichts blieb
MV 1134 natürlich nicht unfotografiert, handelte es sich doch um eine MV und damit um eine der sechs Sonderlinge innerhalb der MY-Nummernreihe.
Bild 03:
Und da waren sie, unsere ersten V200 in Dänemark! Das Pärchen aus
220 014 und
220 076 sieht vor dem 3-Wagen-kurzen P3718 noch etwas gewöhnungsbedürftig aus. Knapp verpasst wurde die Begegnung mit einer im Hintergrund noch sichtbaren MX, die Lz Richtung Vejle unterwegs ist.
Da bis zu den nächsten 220-Zügen noch genügend Zeit blieb, entschlossen wir uns, dem nahegelegenen Bw Fredericia einen kurzen Besuch abzustatten.
Bild 04:
Empfangen wurden wir von
MH 399, die wie die meisten MH noch ihre ursprüngliche grüne Farbgebung besitzt. Steht der alte Rangierhobel da nicht schön im Licht?
Bild 05:
Auch
220 014 und
220 076 lassen nicht lange auf sich warten. Vor der nächsten Leistung kommen sie zur Nachschau (und zum Tanken?) kurz ins Bw Fredericia.
Bild 06:
Oh je, wie sieht denn die aus? Auch
MZ 1405 besitzt noch ihre ursprüngliche Farbgebung; der Zustand lässt allerdings sehr zu wünschen übrig und unterscheidet sich auffällig von dem der weitaus meisten DSB-Fahrzeuge.
Bild 07:
Wesentlich besser gefiel mir da schon die neue, schwarz/rote Farbgebung, in der wir
MV 1101 vor dem Schuppen im Bw Fredericia antrafen. Bei dieser Lok handelt es sich nicht nur um den ersten Kartoffelkäfer überhaupt, sondern zugleich auch um einen Sonderling innerhalb der Baureihe MY, äußerlich erkennbar nur an der abweichenden Kennzeichnung als
Baureihe MV.
An dieser Stelle wird es Zeit, kurz auf die (Unter-) Baureihe MV einzugehen. Die
Baureihe MY, der erste dänische "Kartoffelkäfer", besaß regulär einen EMD-Dieselmotor der Reihe 567-C mit einer Leistung von 1900 PS. Nur die ersten vier Loks (1101 – 1104) wurden mit dem etwas leistungsschwächeren Motor 567-B, 1750 PS, geliefert. Durch Motortausch gelangten diese 1750 PS-Motoren auch in andere Loks. Wegen der betrieblichen Relevanz der verminderten Leistung zeichnete die DSB diese Loks 1968 unter Beibehaltung der Fahrzeugnummer in die
Baureihe MV um. Betroffen davon waren die sechs Loks 1101, 1102, 1104, 1109, 1134 und 1144.
Drei davon, und zwar 1101, 1104 und 1134, erhielten 1984, 73 und 81 den 1900 PS Motor und wurden danach wieder als Baureihe MY bezeichnet.
Bild 08:
Vor dem Schuppen stehen jetzt auch unsere beiden V200. In dieser Blickrichtung
220 076 vorn, die, was ihren abgewirtschafteten Zustand angeht, mit der MZ 1405 von Bild 6 locker mithalten kann. Rechts neben dem 220er Pärchen die dänische Rundnase
MX 1036. Die stilistischen Wurzeln des V200 Designs sind unübersehbar.
Bild 09:
Von etwas weiter weg noch einmal ein Blick auf die gesamte Fahrzeugsammlung vor dem Lokschuppen des Bw Fredericia; von links (hinten) nach rechts:
MO 1835,
220 076+
220 014,
MX 1036 und
MZ 1405 vor
MV 1101.
Bild 10:
Als erste brechen
220 014 und
220 076 wieder zu ihrem nächsten Dienst auf. Die beiden Lichtsignale zeigen unmissverständlich an, dass wir uns in Dänemark befinden.
Bild 11:
Noch während die beiden 220 im Hintergrund durch die Bw-Ausfahrt sägen, geht auch
MO 1835 auf die Reise.
Dieser dänische Altbau-VT mit der ungewöhnlichen Achsfolge 3’ Bo’ blieb übrigens erhalten und befindet sich heute in der Obhut der Angelner Dampfeisenbahn, Flensburg.
Jetzt war auch für uns höchste Zeit zum Aufbruch, denn die V200 sollten natürlich noch mit Zug auf der Strecke abgelichtet werden. Gesagt, getan…
Bild 12:
Bei Børup, südwestlich von Fredericia, hatte man von einer Straßenbrücke einen schönen Blick auf die Strecke und in die weite Landschaft. Hier wird der P946 mit
220 014 und
220 076 erwartet. 2x 2000 PS für vier Wagen – untermotorisiert war der Zug jedenfalls nicht ;-))
Bild 13:
Gerade, als wir wieder ins Auto steigen wollten, kam aus der Gegenrichtung, klein und unscheinbar, der Altbau-VT
MO 1835 heran gebrummt. In der kurzen Zeit, die seit dem Verlassen des Bw Fredericia (siehe Bild 11) vergangen ist, kann er höchstens bis Kolding gekommen sein. Da weder für die Hinfahrt noch für die hier zu sehende Rückfahrt ein Zug im Kursbuch zu finden war, handelte es sich wohl um eine Dienstfahrt. Børup, 28.09.81.
Bild 14:
Ein Blick in den nahe gelegenen Rangierbahnhof Fredericia brachte uns zwar keine weiteren Loks oder Züge ein, wohl aber ein Nebenfahrzeug, dass man auch damals schon nicht alle Tage zu sehen bekam: Und zwar diese skurrile Bm-Draisine, die offensichtlich unter Verwendung eines alten Automobils entstand. Sachdienliche Hinweise zu Marke und Typ werden gerne entgegen genommen.
Für die folgenden Aufnahmen ging es dann wieder zurück nach Bredstrup, wo in einer langgezogenen Außenkurve die Möglichkeit bestand, Züge in beide Richtungen zu fotografieren. Das war auch nötig, denn angesagt waren jetzt beinahe zeitgleich zwei ICs mit V200, einer von Aarhus nach Nyborg und einer in der Gegenrichtung.
Bild 15:
Der südwärts fahrende IC160 Aarhus – Fredericia – Nyborg kommt als erster, pünktlich auf die Minute. Aber oh Schreck, musste das sein? Muss ausrechnet
220 060 im verhassten blau/beigen Farbdesign zu den Leihloks gehören; und dann noch an exponierter Position vorne, vor
220 026?
JA, sage ich heute ganz entschieden! Rote V200 haben wir oft genug vor die Linse gekriegt. Der blau/beige Farbklecks, so verunglückt das Design auch war, hat uns immerhin einen der drei 220-Exoten im Auslandseinsatz beschert.
Bild 16:
Im Blockabstand hinter dem IC folgt ein kurzer Nahgüterzug mit
MX 1029 an der Spitze. Auch dieser Zug ist mit 1450 PS üppig motorisiert.
Bild 17:
Zeit für den Gegenzug IC147, der mit
220 051 und
220 075 bespannt ist.
Auch wenn man durch die Außenkurve nicht viel von dem Wagenpark sehen kann – das waren endlich mal "richtige" Züge für unsere V200, mit kurzen Fahrzeiten, wo die Loks zeigen konnten, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen gehörten.
Bild 18:
Nach den beiden ICs war erst mal wieder eine Pause im V200-Verkehr zu überbrücken; von uns genutzt zur Streckenerkundung und begleitet von der Hoffnung auf einen Güterzug. Südlich des Bahnhofs fanden wir auch ein schönes Motiv mit Blick auf den Hafen und den kleinen Belt. Nur ein Güterzug ließ sich leider nicht blicken. Und so mussten wir uns mit
MR 4051 begnügen, der damals noch mit MR 4052 gekuppelt war. Die Zugnummer lautet P2755.
Bild 19:
Die für uns letzte (fotografierbare) V200-Leistung des Tages war IC333 Köln – Frederikshavn (in Deutschland D333), Fredericia ab 18:38 Uhr. Vor diesem Zug lief ab Flensburg das vierte V200-Pärchen im Umlauf,
220 013 und
220 022. Von mehreren in der Bahnhofseinfahrt und im Bahnhof gemachten Aufnahmen habe ich dieses Bahnsteigbild ausgewählt, damit der Bahnhof Fredericia als Mittelpunkt der V200 Einsätze auch mal zu seinem Bild kommt.
Bild 20:
Vom Bahnsteigende aus ergab sich noch dieses nette Motiv mit der rangierenden
MH 310. Die tief stehende Abendsonne beleuchtet eine Szenerie, die für mich irgendwie typisch ist für die dänische Eisenbahn der damaligen Zeit.
Damit war der 28.08. für uns aber noch nicht beendet. Den nächsten Tag wollten wir in Nyborg an der Fähre nach Seeland beginnen. Und das hieß: eine weitere gute Stunde Autofahrt nach Nyborg, Übernachtungsmöglichkeit suchen, nettes und preiswertes Quartier am Hafen finden, kurz etwas essen und dann totmüde, aber hoch zufrieden ins Bett sinken.
Ich hoffe, das geschätzte HiFo-Publikum sieht es mir nach, dass ich hier nicht nur Bilder von unserer deutschen Grande Dame der Dieseltraktion gezeigt habe, sondern auch den "dänischen Beifang", der uns genau so wichtig war. Am nächsten Tag, einem Samstag mit deutlich reduziertem V200 Angebot, wird das Verhältnis sogar noch DSB-lastiger. Trotzdem hoffe ich, dass wir uns beim Folgebeitrag zum Thema V200 in Dänemark sehen ?!
Bis dahin, einen schönen Tag noch,
Ulrich B.